England gewinnt die Fußballschlacht
Zwei frühe Tore schocken die Kanadierinnen und über 50 000 Zuschauer
Der einzige Trost waren für das Gastgeberland beim tragischen Ausscheiden aus dem eigenen Turnier die äußeren Umstände. Das Spiel gegen England fand im schönsten WM-Stadion, der schönsten Stadt, vor dem größten Publikum und gegen einen Gegner statt, mit dem man sich die gleiche Königin teilt. Ein historischer Moment - jedoch mit traumatischem Ende. Mit 1:2 verloren die Kanadierinnen das Viertelfinalspiel.
54 027 Soccer-Fans kamen mit wehenden Ahornblatt-Fahnen und in bester Partylaune ins BC Place Stadium nach Vancouver gepilgert. Ein Menschenmeer aus Rot und Weiß feuerte sein Nationalteam an, deren Star Christine Sinclair sogar aus der Stadt selbst stammt. Es ging für Kanada um den historischen Einzug ins Halbfinale, den jedoch England für sich gewinnen und damit sein eigenes Stück Sportgeschichte schreiben konnte. Noch nie kam ein englisches Frauenteam soweit bei einer WM.
Nirgendwo ist Kanada britischer und dem Mutterland England näher als hier in British Columbia und in Vancouver, wo jeder zweite Straßenname nach einem britischen Eroberer benannt ist. Im Stadion schwenkten viele Fans außer der Nationalflagge Kanadas auch die Flagge ihrer Provinz British Columbia - mit der aufgehenden Sonne über den Wellen des Pazifiks. »Für mich geht der Abend so oder so mit einem Sieg aus«, sagte die in Vancouver lebende Britin Catherine Buffham vor Anpfiff. »Wenn Kanada gewinnt, freue ich mich, wenn England gewinnt, auch.« Ihr Herz schlage für beide Teams.
In der Tat kam einem dieses Viertelfinale wie eine nachgestellte Schlacht um die Unabhängigkeit vor - die Neue Welt Kanada gegen das Mutterland des Fußballs, England. Beide Teams werden zudem noch von britischen Trainern geführt, die wie abgesprochen im gleichen urbanen Look - weißes Hemd und schwarze Hose - am Spielfeldrand wie Spiegelbilder wirkten. Kanadas Chef John Herdman stammt aus Nordengland und Mark Sampson aus Wales - beide sind in den Dreißigern und kämpferische Typen.
»Dies war das beste Team, das auf dem Platz stand. Wir sind bis an unsere Grenzen gegangen. Mehr ging nicht«, sagte Coach John Herdmann mit glasigen Augen nach der Partie. Wie unter Schock musste der sonst so eloquent auftretende Trainer das Ausscheiden seines Teams erst einmal innerlich verarbeiten. »Es stand nicht im Drehbuch, dass wir gleich am Anfang derartig untergehen.« Vielleicht lag es auch am zuvor gewässerten Kunstrasen, der gleich zwei kanadische Verteidigerinnen ausrutschen ließ.
Kanada hatte sich binnen weniger Minuten in der ersten Viertelstunde selbst aus dem Turnier befördert. Folgenschwere Fehler von Abwehrspielerin Lauren Sesselmann und der sonst sehr zuverlässigen Allysha Chapman konnten nicht mehr wettgemacht werden. Englands Tore erzielten in der 11. und 14. Minute eine hellwache Jodie Taylor und etwas später Lucy Bronze. Doch nicht nur hinten wirkte Kanada glücklos. Auch vorn ging nichts zusammen. In seiner fünften und letzten Partie des Turniers kamen die Stürmerinnen Melissa Tancredi und Christine Sinclair kaum zum Zuge. Die wenigen Chancen vor dem englischen Tor wurden hektisch vergeben.
Es wirkte, als ob England und Kanada immer noch das simple Spiel mit langen Bällen in den Strafraum pflegen, bei dem mit etwas Glück dem Stürmer die Bälle vor die Füße fallen. Allerdings gab es statt »Kick-and-Rush« hier nur »Kick« zu bewundern. Die beiden britischen Coaches hatten ihre Teams auf ein historisches Match eingestellt, bei dem Pressing und Luftkämpfe das Geschehen bestimmten. Viele Szenen sahen eher nach unschöner Rudelbildung als nach strategischem Spielplan aus. Alles jagte dem Ball nach - es mangelte an klugem Spielaufbau.
Kurz vor der Pause ging die Pressing-Taktik dann auch endlich für Kanada auf. Kapitänin Christine Sinclair konnte nach einer hohen Hereingabe einen Torwartfehler ausnutzen und den Ball mit etwas Umstand ins Tor bugsieren und damit den Anschlusstreffer zum 1:2 erzielen. Das Geschrei im BC Place war ohrenbetäubend. Kanadas Fans glaubten wieder an ein Wunder und feuerten ihr Team bis zum Schluss frenetisch an.
Für die 32-jährige Christine Sinclair sollte diese WM im Heimatland die Krönung eines langen Fußballerlebens werden. Im ganzen Land wird die aus Vancouver stammende Stümerin wie ein Filmstar verehrt. Übergroß wirbt sie auf Plakaten für das Turnier. Im kanadischen Fernsehen laufen seit Wochen Werbespots, und die Fans reißen sich darum, ein Foto mit ihr zusammen auf ihre Handys zu bekommen. Christine Sinclair ist in Kanada und in ihrer Heimatstadt Vancouver eine lebende Legende. Als 18-Jährige war sie gar als beste Spielerin der Welt bezeichnet worden. Eine weitere Episode hat Sinclair als Heldin in Kanada berühmt gemacht. Im Auftaktspiel der letzten WM 2011 spielte sie trotz gebrochener Nase weiter. So etwas mag man hier im Land der Bären.
Doch die Last des Heldenschicksals schien seit der ersten Partie gegen China schwer auf ihre Schultern zu drücken. Mühsam und müde war das Spiel der Kanadierin, trotz unbändigem Kampfes- und Siegeswillen. Beides wirkt in der Kombination manchmal unglücklich. Nach dem Spiel hatte sich die Heldin mit einem »Sorry« beim Trainer von ihrer Karriere und vom WM-Traum verabschiedet. Eine Entschuldigung, die John Herdmann unnötig fand. Christine Sinclair sei Weltklasse gewesen.
Sie hatte davon geträumt, gegen die USA im Finale zu stehen. »Wir wollten nicht, dass das Turnier auf diese Weise für uns endet«, sagte sie nach der Partie. »Klar, man ist immer traurig, wenn man aus einem Turnier fliegt. Doch ich glaube nicht, dass wir verdient haben, so auszuscheiden«. Die Spielerinnen ließen sich nach dem Abpfiff weinend auf den Rasen fallen. »Man schaut sich um und sieht diese Masse von 50 000 Leuten in Kanada-Trikots. Ein echter Kindheitstraum sein Land hier zu repräsentieren. Und dann das. Es tut sehr weh«, sagte Christine Sinclair.
Einen kleinen Trost gibt es noch für Kanada. Der Gastgeber des Turniers hat nicht schlechter abgeschnitten als Deutschland vor vier Jahren gegen Japan - auch da war im Viertelfinale Schluss. Viele Kanadier wurmt aber jetzt, dass ausgerechnet das Nachbarland USA im Turnier weiterkommt. »Denen gönnen wir das hier nicht«, meint die britische Vancouveranerin Catherine Buffham. »Da ist es mir lieber, wenn die Deutschen gewinnen.«
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