Zurück ins Mittelalter
In Köpenick entsteht ein altes Dorf - Schüler können ab Herbst die Zeitreise antreten
Noch ist reichlich Fantasie nötig, um sich Köpenick vor rund 700 Jahren vorzustellen. Denn das mittelalterliche Dorf, das an der Friedrichshagener Straße gebaut wird, muss erst noch wachsen. Freiwillige Helfer haben die ersten Holzbalken in die Erde gestemmt, ein paar Bänke zusammen gezimmert und treffen sich dort alle 14 Tage zum Arbeitseinsatz. Schüler, Studenten, aber auch Rentner und eine Tischlermeisterin gehören dazu. »Für mich zählt der Aspekt, dass hier etwas für Kinder gemacht wird, deshalb bin ich dabei«, sagt Nadja Näther, die von einer Kundin von dem ehrgeizigen Projekt erfuhr. Sie findet es spannend, nach alten Handwerksmethoden, Häuser und Überdachungen zu gestalten.
Zehn Gebäude - jedes ungefähr 15 Quadratmeter groß - sollen spätestens Ende nächsten Jahres auf dem 2000 Quadratmeter großen Areal nahe der Spree fertig sein. »Wir setzen alles daran, damit die ersten drei bereits ab Herbst 2015 genutzt werden können«, kündigt Marlies Böttcher, Vorsitzende des Vereins Zeitfluss an. Die Studienrätin ist die Ideengeberin für das historische Dorf. Nach einem Schulausflug nach Magdeburg, bei dem die Mädchen und Jungen begeistert der mittelalterlichen Arbeit nachgingen, wusste die 62-Jährige, so etwas möchte sie auch nach Berlin bringen.
Gemeinsam mit einem befreundeten Architekten entstand schließlich vor fünf Jahren der Entwurf für »das alte Copnic«. Seit dem präsentierten die engagierten Vereinsmitglieder auf vielen Festen ihr Vorhaben, gewannen Sponsoren und freiwillige Helfer und erhielten schließlich vor Kurzem die Baugenehmigung.
Eine Holzwerkstatt, eine Bäckerei mit Lehmofen und ein Haus, in dem verschiedene Sachen von den Schülern gefertigt werden, entstehen gerade. Später kommen unter anderem eine Weberei und eine Schmiede dazu.
Schon jetzt freuen sich Marlies Böttcher und ihre Mitstreiter auf die praktische Umsetzung. Denn für die jeweils eintägigen Zeitreisen sind verschiedene Rollenspiele geplant. Das beginnt damit, dass die Besucher am Eingangstor moderne Kleidung, Mobiltelefone und ihre richtigen Namen ablegen. Dann schlüpfen sie in mittelalterliche Klamotten und leben praktisch einen längst vergangenen Alltag. Sie nehmen die Geschichte selbst in die Hand: lernen Stadtverwaltung, Handel und Handwerk des Mittelalters kennen. Auch Gerichtsverhandlungen wird es geben, die Klosterschule kann besucht werden und ab und zu schaut auch mal ein hoher Würdenträger vorbei. Zudem können die Mädchen und Jungen über dem offenen Feuer leckere Eintöpfe nach überlieferten Rezepten köcheln. »Die jungen Leute sollen spielerisch eigene Erfahrungen sammeln und vor allem schätzen lernen, wie gut es ihnen heute geht«, sagt Böttcher. Eigeninitiative ist schon bei den ersten Besuchern gefragt. Sie sollen Stück für Stück die Fassaden der Häuser mitgestalten: Beispielsweise die Balken dunkel beizen oder Lehm aufbringen. Wenn auch die Bauten äußerlich auf alt getrimmt sind, sie entsprechen selbstverständlich den heutigen Brandschutzanforderungen und sind behindertengerecht. »Mit mobilen Rampen schließen wir niemanden aus«, sagt die Vereinsvorsitzende.
Dass jetzt nach und nach auf dem vom Bezirksamt Treptow-Köpenick zur Verfügung gestellten Grundstück an der Friedrichshagener Straße das »wachsende Dorf« zu sehen ist, macht Marlies Böttcher auch ein wenig stolz. »Unser langer Atem hat sich gelohnt, es wäre aber wunderbar, wenn sich noch mehr freiwillige Helfer melden«, sagt sie. Besondere Voraussetzungen sind nicht nötig, nur der Wille in der Natur handwerklich zu arbeiten.
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