Die Blockade, die es angeblich nicht gibt

Erneut wurde eine Gaza-Hilfsflotte von der israelischen Kriegsmarine an der Übergabe von Gütern gehindert

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Propalästinensische Aktivisten haben versucht, per Schiff den Gaza-Streifen zu erreichen. Sonntagnacht wurden sie von der israelischen Marine gestoppt. Es gebe keine Blockade, sagt die Regierung.

Die Schiffe befanden sich noch mehr als zwölf Kilometer von der Küste des Gaza-Streifens entfernt, als die Kämpfer der Schajetet 13 in der Nacht zum Montag zuschlugen. Normalerweise ist diese Einheit der israelischen Marine, von der auch innerhalb des Militärs nur wenige wissen, wer ihr angehört, für Einsätze hinter feindlichen Linien zuständig. Doch diesmal waren es keine Ziele der Hisbollah, Hamas oder des syrischen Militärs, sondern ein Schiffskonvoi, mit dem insgesamt 47 propalästinensische Aktivisten die Blockade des Gaza-Streifens durchbrechen wollten.

Die genauen Umstände des Aufbringens sind unklar: Gestürmt worden sei die »Marianne av Göteborg«, ein schwedisches Schiff; sie wurde dann später in den israelischen Hafen Aschdod geschleppt; die 18 Passagiere sollen umgehend abgeschoben werden. Zwei weitere Schiffe haben nach Angaben des israelischen Militärs ihren Kurs auf Gaza abgebrochen. Was mit dem vierten Schiff geschehen ist, wurde nicht bekannt. Nach Angaben der Organisatoren hatten die Schiffe unter anderem Solarkollektoren, Medikamente und Fußbälle geladen. Auch Israels Regierung bezweifelt nicht, dass sich ausschließlich zivile Güter an Bord befinden. Doch den Aktivisten ging es vor allem darum, der Welt zu zeigen, dass die Blockade des Gaza-Streifens nach wie vor existiert.

Eine Blockade, die es nach Ansicht der israelischen Regierung nicht gibt. Jedem stehe es frei, Hilfsgüter über die offiziellen Kanäle, also über die Grenzübergänge von Israel und Ägypten aus einzuführen, heißt es aus dem Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu, der die Angelegenheit zur Chefsache erklärt hatte. Tagelang hatte die Kommandoeinheit für die Stürmung trainiert; unter dem Grollen des Generalstabs, wo der Einsatz der hoch spezialisierten Truppe als Verschwendung von Zeit und Ressourcen kritisiert wird.

Doch der Marschbefehl war eine politische Entscheidung. Man wolle den Aktivisten keinesfalls einen Sieg erlauben, sagte der Premier in einer Kabinettssitzung vor einer Woche - ein Sieg, den die Freiheitsflotte nun aber trotzdem davonträgt: Man hat auf die Blockade aufmerksam gemacht. Und kann der Welt dazu noch einen sarkastischen Brief Netanjahus liefern, der den Aktivisten bei der Stürmung überreicht wurde: »Es sieht so aus, als wäret ihr falsch abgebogen. Vielleicht wolltet ihr zu einem Ort nicht weit von hier segeln - Syrien, wo Assad mit der Hilfe des mörderischen iranischen Regimes sein Volk abschlachtet.« Es war das dritte Mal, dass die Organisatoren der »Freedom Flotilla« (Freiheitsflotte) einen Konvoi auf die Reise nach Gaza schickten. 2010 hatte es dabei zehn Tote gegeben, nachdem israelische Soldaten das Schiff »Mavi Marmara« gestürmt und das Feuer eröffnet hatten. Die Folge war eine diplomatische Krise mit der Türkei, die bis heute nachwirkt. Die strategische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern wurde auf ein Minimum reduziert; das Verhältnis zwischen den Regierungen ist eiseskalt.

Auch beim zweiten Konvoi kam es bei der Stürmung zu Auseinandersetzungen: Einige der Passagiere wurden mit Schlagstöcken attackiert oder mit Elektroschockern außer Gefecht gesetzt. Israels Militär sagt, die Betroffenen hätten versucht, die Soldaten anzugreifen. Dieses Mal hatten Regierung und Militär indes alles daran gesetzt, Zwischenfälle zu verhindern. Denn an Bord befanden sich auch der ehemalige tunesische Präsident Moncef Marzouki und der israelische Parlamentsabgeordnete Basel Ghattas von der Vereinigten Arabischen Liste.

Ghattas’ Teilnahme hatte in seiner Fraktion für erhebliche Verstimmung gesorgt, auch wenn sich die Liste offiziell hinter die Aktion stellte. »Mir wäre es lieb gewesen, wenn ich davon nicht aus der Zeitung erfahren hätte«, sagt der Abgeordnete Masud Ganaim. Und Ahmed Tibi kritisiert, es sei unverantwortlich von Ghattas, einen Sitzungstag im Parlament zu verpassen. Denn Netanjahu regiert nur mit einer Stimme Mehrheit; die Opposition versucht deshalb, stets vollzählig anwesend zu sein. Doch für die Parteien, die die Vereinte Liste bilden, geht es auch um die Wählergunst. Viele Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft werfen der Fraktion vor, mehr für die Rechte der Palästinenser als für die Interessen der eigenen Wählerschaft einzutreten - was ein Grund dafür ist, warum die Abgeordnete Haneen Zoabi, die bereits zwei Mal teilnahm, dieses Mal nicht dabei war: »Normalerweise wäre ich dabei gewesen. Doch ich bin vor allem dem Mandat verpflichtet, dass mir meine Wähler gegeben haben.«

Doch auch die Stürmung ist umstritten. Es wäre besser, die Schiffe durchzulassen, wurde in Kabinettssitzungen gefordert. »Würden wir die Schiffe einfach fahren lassen, dann bekäme es kaum jemand mit,« sagt Bauminister Joav Gallant. »So haben die Organisatoren ihr Ziel erreicht.«

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