Mindestlohn: Lohnerhöhung steht einigen noch bevor
DGB wertet die Einführung des Mindestlohns als Erfolg / Nahles lockert Dokumentationspflichten / Verfassungsgericht weist Beschwerden zurück
Update 11.40 Uhr: Das Bundesverfassungsgericht hat drei Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz als unzulässig abgewiesen. Das teilte das Gericht am Mittwoch mit. In zwei Fällen müssten die Kläger erst bei den Fachgerichten klagen, bevor sie das Verfassungsgericht anrufen könnten, hieß es. Eine weitere Verfassungsbeschwerde sei nicht ausreichend begründet.
Geklagt hatten unter anderem 14 ausländische Transportunternehmen, die auch in Deutschland tätig sind. Das Mindestlohngesetz sieht vor, dass abhängig Beschäftigte ab dem 1. Januar 2015 Anspruch auf mindestens 8,50 Euro brutto Stundenlohn haben.
Mindestlohn: Lohnerhöhung steht einigen noch bevor
Berlin. Auch ein halbes Jahr nach Einführung des Mindestlohns in Deutschland stehen vielen Beschäftigten entsprechende Lohnerhöhungen erst noch bevor. »Wir haben nicht nur die Wirkung des Mindestlohns seit dem 1. Januar«, sagte das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Stefan Körzell, der Deutschen Presse-Agentur anlässlich des Halbjahresjubiläums der Lohnuntergrenze am 1. Juli in Berlin.
»So profitieren die Beschäftigten im Friseurhandwerk ab August«, sagte Körzell. »Überall dort, wo es handlungsfähige Tarifvertragsparteien gibt, profitieren die Menschen davon, etwa im Gartenbau oder der Fleischindustrie.«
Körzell machte damit auf sogenannte »Einphasungstarifverträge« aufmerksam. Hintergrund ist, dass sich Branchen mit Löhnen deutlich unter 8,50 Euro schrittweise anpassen können. Gibt es einen bundesweiten Tarifvertrag auf Branchenebene für alle betroffenen Beschäftigten, dürfen sie zunächst weniger zahlen und den Lohn dann anheben.
Im Friseurgewerbe steigt der hier schon 2013 vereinbarte Mindestlohn erst im August 2015 auf 8,50 Euro. In der Fleischindustrie wird der Mindestlohn im Oktober von 8 Euro angehoben - und zwar gleich auf 8,60 Euro. In der Land- und Forstwirtschaft und im Gartenbau geht es bei den untersten Lohngruppen von 7,20 im Osten und 7,40 Euro im Westen im Januar auf 7,90 beziehungsweise 8,00 Euro hoch. Ab Januar 2017 gelten dann 8,60 Euro und ab November 2017 9,10 Euro.
Nahles lockert Dokumentationspflichten
Die von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) angekündigten Nachbesserungen bei Mindestlohnregeln sieht der DGB gemischt. So kritisierte Körzell, dass bei Saisonkräften, die per Ausnahme täglich zwölf Stunden arbeiten dürfen, die Kontrolle der Arbeitszeit nicht mehr vom Zoll, sondern von örtlichen Behörden durchgeführt werden solle. Nahles hatte am Dienstag angekündigt, die Dokumentationspflichten zu lockern. Bei Arbeitsverhältnissen mit längerem Bestand müssen Arbeitgeber künftig die Arbeitszeit nicht mehr aufzeichnen, wenn der regelmäßige Lohn 2000 Euro brutto übersteigt und die letzten zwölf Monate auch tatsächlich bezahlt wurden.
Keine Vernichtung von Jobs
Unterm Strich bewertete Körzell den Mindestlohn nach einem halben Jahr als Erfolgsgeschichte. »Allen Unkenrufen zum Trotz ist nicht eingetreten, was Sachverständige vorhergesehen haben, dass nämlich bis zu 1,2 Millionen Jobs vernichtet werden.«
Körzell sagte: »Selbst die Spargelbauern haben ihren Frieden mit dem Mindestlohn gemacht. Von ihnen hören wir, dass mäßige Preisanstiege bei den Verbrauchern auf Verständnis gestoßen sind.«
Insgesamt profitierten rund 3,6 Millionen Menschen vom Mindestlohn. Bestimmte Nachbesserungen seien nötig: etwa eine Beweislastumkehr bei Arbeitszeit und Lohn. »Nicht der Arbeitgeber sollte nachweisen müssen, wieviel er gearbeitet hat, sondern der Arbeitnehmer.« Um aufgedeckte Verstöße schnell zu ahnden, brauche es bundesweit Schwerpunktstaatsanwaltschaften. dpa/nd
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