Ein aufrechter Trauermarsch

Der Titeltraum der deutschen Fußballerinnen bei der WM ist nach dem 0:2 gegen bessere Amerikanerinnen vorbei

  • Frank Hellmann, Montréal
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Halbfinalniederlage gegen die USA bei der WM ist für die deutschen Fußballerinnen ein herber Dämpfer. Es stellen sich viele Fragen. Auch der Bundestrainerin.

Es ging schon auf Mitternacht zu, da stand der Mannschaftsbus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen immer noch im Erdgeschoss des Olympiastadions von Montréal. Eingepfercht in einem engen Bereich unter der riesigen Tribüne mit ihren rissigen Betonblöcken. Schwarze Stellwände sollten das Gefährt vor neugierigen Blicken schützen, trotzdem war die Bundestrainerin Silvia Neid in der ersten Reihe zu erkennen, wie sie auf die Abfahrt wartete. Die Miene regungslos. Der Blick leer.

Da hatte jemand ganz gewaltig an dem 0:2 (0:0) im WM-Halbfinale gegen die USA zu knabbern. Vielleicht war es der erste Moment, in dem der 51-Jährigen vieles durch den Kopf ging. Hat ihr Team vor endlich einmal mehr als 50 000 Fans, fast ausnahmslos weit angereiste und entsprechend angeregte Unterstützer der US-Mannschaft, wirklich alles abgerufen? Kämpferisch war das unbestritten, aber spielerisch und taktisch? Und stimmte es wirklich, was die Trainerin auf der Pressekonferenz festgestellt hatte? »Ich denke, es war ein tolles, ausgeglichenes Halbfinale mit zwei starken Mannschaften. Wir waren nur im Abschluss zu unpräzise.«

Im grellen Scheinwerferlicht hatte Neid zudem klare Beschwerden gegen die Schiedsrichterin Teodora Albon vorgebracht: Die rumänische Unparteiische hätte, meinte die deutsche Trainerin, zum einen der US-Amerikanerin Julie Johnston Rot zeigen müssen (»das ist die Regel«), als diese an die Schulter von Alexandra Popp griff, woraufhin Celia Sasic beim Stande von 0:0 einen Elfmeter so tragisch am Tor vorbeischoss (63.). Zum anderen habe Annike Krahn bei ihrem regelwidrigen Eingreifen gegen Alex Morgan das Foul gar nicht im Strafraum begangen. »Ganz klar außerhalb. Aber wir müssen damit leben, dass dieser Elfmeter das Spiel entscheidet.« Matchwinnerin Carli Lloyd, die später mustergültig noch das 2:0 von Kelley O’Hara vorbereitete (84.), schickte Torhüterin Nadine Angerer mal eben in die falsche Ecke (69.). Die Vorentscheidung. Neben der Kraft fehlte dem ermüdeten Europameister auch die Klasse, um die fitten Olympiasiegerinnen zu bezwingen.

Erstaunlich, dass ausgerechnet Neids Musterschülerin Annike Krahn, die auch vor dem 0:2 den entscheidenden Zweikampf verlor, vor ihrem 30. Geburtstag (Mittwoch) gestand: »Die USA haben verdient gewonnen. An der Schiedsrichterin lag es nicht allein.« Die pragmatisch veranlagte Abwehrchefin ist diejenige, die immer die Kleiderwahl vornimmt, diesmal trugen auf ihr Geheiß also alle einen grauen Kapuzenpullover, und beim Abgang verstärkte sich der optische Eindruck, als sei da ein Trauermarsch unterwegs.

Und doch waren die Szenen nicht vergleichbar mit den Bildern vom 9. Juli 2011, als viele dieser Spielerinnen nach einem 0:1 gegen Japan im Viertelfinale der Heim-WM tränenüberströmt auf dem Naturrasen von Wolfsburg kauerten. In Montreal war auf dem Kunstrasen nicht eine zusammengesackt. Alle blieben stehen, sogar die untröstliche Fehlschützin Celia Sasic. Und es hatte auch Größe, wie die US-Antreiberin Alex Morgan auf ihre Portland-Mitstreiterin Nadine Angerer zuging, um Komplimente auszusprechen.

Für einen Kampf, den Angerers Vorderleute indes nur zeitweise auf Augenhöhe zu führen vermochten. Die tüchtige Torhüterin war allerdings die Erste, die den Blick recht entschlossen nach vorne richtete. »Ich denke, wir haben eine gute WM gespielt. Wir hätten den dritten Platz absolut verdient.« Das Stichwort. Zumindest die 36-Jährige hat für ihr allerletztes Länderspiel noch ein lohnendes Ziel ausgemacht. Genau wie bei den Männern wird auch bei den Frauen der dritte Platz ausgespielt, worüber sich immer herrlich streiten lässt. Dieser Umstand ersparte der DFB-Auswahl am Mittwoch die sofortige Abreise aus Kanada, sondern erforderte nur einen Weiterflug nach Edmonton. Dort im Commonwealth Stadium geht es darum, noch auf ein imaginäres Podium zu klettern. »Wir wollen einen schönen Abschluss. Ich bin zufrieden, denn wir haben viele Teams aus dem Turnier geschossen. Wir können erhobenen Hauptes gehen«, insistierte Silvia Neid, die ansonsten für eine bessere Zukunft auf einen Lerneffekt setzt: »Man kann als junge Spielerin nicht ohne Niederlage durchs Leben laufen.«

Aber wie schnell gelangen solche Weisheiten nun in die Köpfe? Das kleine Finale taugt nicht wirklich als Ersatz für ein echtes Endspiel, zumal zu Turnierbeginn die kleinen Kopfkissen mit dem Aufdruck »Titeltraum« verteilt worden waren, auf denen sich doch angeblich so gut nächtigen ließ. Dieser Traum ist zerplatzt. Bei der nach den Olympischen Spielen 2016 zurücktretenden Silvia Neid sogar für immer. Und auch darüber dürfte sie bereits im Bus nachgedacht haben.

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