Chaos öffnete Gefängnistore
Unübersichtliche Lage in Jemen nach Bürgerkrieg und Luftterror aus Saudi-Arabien
John Atkins hat viele Bilder zusammengetragen. Glückliche Menschen auf Familienfesten sind darauf zu sehen. Und dann: Die selben Menschen, mit Verletzungen, die in ihrer Brutalität nicht zu beschreiben sind: Von Schusswunden übersäte Körper, entstellte Gesichter. »Ich habe in meinem Leben schon einige Kriege miterlebt,« sagt der Mitarbeiter des UNO-Flüchtlingshilfswerks in Djibouti: »Aber das übertrifft alles, was ich gesehen habe.« Und es gebe einen kleinen Einblick in das, was die Menschen in Jemen derzeit durchmachen: Denn mangels Booten, mangels Geldes schaffen es vergleichsweise wenige, ungefähr 17 000 bisher, über die 30 Kilometer breite Meerenge in das nur 800 000 Einwohner große afrikanische Land.
Der Rest muss bleiben, denn weder Saudi-Arabien noch Oman haben bisher ihre Grenzen für die Flüchtlingsströme geöffnet. Anfang der Wochen entkamen aus einem Gefängnis in Taiz, einer auf halber Strecke zwischen Sanaa und Aden gelegenen Stadt, über 1000 Häftlinge. Die Haftanstalt wurde in der Vergangenheit vor allem für die Vollstreckung langer Haftstrafen und der Todesstrafe genutzt.
An diesem Zwischenfall wird deutlich, wie extrem unübersichtlich die Lage mittlerweile ist. Längst sind es nicht mehr allein Militäreinheiten und Milizen, die der Regierung des nach Saudi-Arabien geflohenen Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi loyal gegenüberstehen, die sich mit den schiitischen Huthi-Milizen Kämpfe liefern. Darüber hinaus stehen beide Kampfparteien auch im Konflikt mit Gruppierungen wie Al Qaida und Islamischer Staat, die sich beide ebenfalls gegenseitig bekämpfen.
Sicher ist, dass sich die Massenflucht während einer Schießerei zwischen Huthi-Milizen und Al Qaida rund um das Gefängnis ereignete: Jemens Exilregierung wirft den Huthis vor, sie habe den Häftlingen bewusst zur Flucht verholfen. Die Huthis sagen, das Gefängnispersonal habe die Posten verlassen, und damit den Ausbruch ermöglicht.
Zur Zeit sei man, gemeinsam mit dem Personal, auf der Suche nach den Flüchtlingen; einige hundert seien bereits wieder festgesetzt worden. Ein Mitarbeiter der örtlichen Polizei, die auf der Seite der Regierung steht, bestätigt das: »Das sind Schwerstverbrecher, die niemand frei herumlaufen sehen möchte.« Allerdings: Da in Jemen lebenslang oder Todesstrafe auf eine lange Liste von Vorwürfen steht, ist der Begriff »Schwerstverbrecher« dehnbar.
Die Luftangriffe der internationalen Militärallianz unter Führung von Saudi-Arabien wurden indes stark zurückgefahren: Vereinzelt werden nach wie vor Stellungen der Huthis, vor allem in der Grenzregion zu Saudi-Arabien, angegriffen. Das Ziel der Angriffe sei nun weitgehend erreicht, sagt ein Sprecher des saudischen Verteidigungsministeriums, und verweist auf die Situation in Aden und Sanaa: In Aden mussten sich die Huthi-Milizen sowie die mit ihnen verbündeten Republikanischen Garden, die nun dem ehemaligen Präsidenten und Huthi-Alliierten Ali Abdullah Saleh loyal sind, zurückziehen. Sie wurden nach Sanaa verlegt, wo die Huthis und ihre Verbündeten ebenfalls Boden an regierungstreue Kämpfer verlieren.
Dazwischen ist die Lage kaum noch zu überschauen: Die politische und strategische Landkarte Jemens ist mittlerweile ein Fleckenteppich aus kleinen und kleinsten Gebieten, die unter Kontrolle der verschiedenen Gruppen stehen, eine Karte, die sich zudem auch noch ständig verändert.
Vor allem US-Diplomaten hatten die Luftangriffe kritisiert: Sie sorgten dafür, dass die Huthi-Milizen geschwächt werden, nachdem sie die Regierungstruppen geschwächt haben. Damit sei der Weg frei, für sehr radikale Gruppierungen wie Al Qaida oder den Islamischen Staat, der im Land erst seit wenigen Monaten Zulauf hat. Seit März wurden bei US-Drohnenangriffen hochrangige Vertreter von Al Qaida getötet; die Organisation, die einst im Norden einen sicheren Hafen fand, gilt mittlerweile als handlungsunfähig. Der Islamische Staat hat damit begonnen, diese Lücke zu füllen.
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