Afghanistans hoher Blutzoll
Rund 3000 Menschen sind den Drohnen-Angriffen der USA zum Opfer gefallen
Am Dienstag zielte eine US-amerikanische Drohne auf zwei Häuser in einem Dorf in Nangarhar im Osten Afghanistans. Dann drückte der Pilot, womöglich im deutschen Ramstein sitzend, auf den Knopf. Mindestens vierzehn Menschen wurden getötet. Wer sie waren, ist unklar. Diverse Medien listeten sie wie gewohnt als »Terrorverdächtige« auf. Der jüngste Angriff war einer von vielen. Allein im Juni fanden mindestens zwanzig Drohnen-Angriffe in Afghanistan statt. Dabei wurden über einhundert Menschen getötet. Seit Beginn des Jahres sind mindestens 400 Afghanen den »Todesengeln«, wie Drohnen dort von den Einheimischen genannt werden, zum Opfer gefallen.
Kurz nach den Anschlägen des 11. Septembers begann in Afghanistan die Geschichte des Drohnen-Krieges der USA. Am 7. Oktober 2001 hatten US-Piloten im Combined Air Operations Center (CAOC) in Saudi-Arabien eine Menschenmenge im südafghanischen Kandahar, dem Machtzentrum der damaligen Taliban-Regierung, im Visier. Das Ziel der Operation war der Führer der Gruppierung, Mullah Mohammad Omar. Plötzlich drückte jemand auf den Knopf und eine Hellfire-Rakete schoss in die Menge. Menschen wurden zerfetzt, Körperteile flogen durch die Luft, wie viele starben, war unklar. Omar konnte fliehen, doch der erste Drohnen-Angriff der Geschichte war vollbracht.
Seitdem gehören Drohnen-Angriffe zum Alltag des Krieges in Afghanistan. Laut dem » The Bureau of Investigative Journalism« (TBIJ), einer in London ansässigen Journalisten-Organisation, ist das Land am Hindukusch das am meisten von Drohnen bombardierte Land der Welt. Allein im Zeitraum 2001 bis 2013 fanden in Afghanistan mindestens 1670 Drohnen-Angriffe statt - mehr als in jedem anderen Land, was von den Todesmaschinen heimgesucht wird.
Wie viele Menschen durch diese Angriffe bis jetzt getötet wurden, ist unklar. Vor Kurzem wurde bekannt, dass mindestens 6000 Menschen Opfer des Drohnen-Krieges wurden. Dank Recherchen von Organisationen wie TBIJ oder Reprieve, einer britischen Menschenrechtsorganisation, wusste man zuvor, dass rund 3000 dieser Opfer aus Pakistan, dem Jemen und Somalia stammen. Lediglich zwölf Prozent von ihnen waren tatsächlich militante Kämpfer.
Man kann davon ausgehen, dass die 3000 weiteren Opfer hauptsächlich Afghanistan zuzuordnen sind. Genau sagen kann man das jedoch nicht. Daten aus dem Land sind praktisch kaum vorhanden. Es existieren so gut wie keine Zahlen und Namen, geschweige denn ein mediales oder politisches Interesse daran.
Der Journalist Noor Behram hat durch Gespräche mit Journalisten aus der pakistanischen Hauptstadt Islamabad in Erfahrung gebracht, nach welchen Kriterien vorgegangen wird, um Drohnen-Opfer als »Militante« oder »Terrorverdächtige«, wie sie oft in zahlreichen Medien beschrieben werden, zu identifizieren. Behram kam zu folgendem Schluss: Oftmals reichen ein Bart, etwas längere Haare und ein Turban aus, um als mutmaßliches Al-Qaida- oder Taliban-Mitglied in diversen Zeitungen und Nachrichtenagenturen angeführt zu werden. Im Falle von afghanischen, in Kabul ansässigen Medien ist Ähnliches der Fall. Hier spielt noch die Tatsache eine Rolle, dass die meisten dieser Medien kurz nach dem US-Einmarsch mit diversen US-amerikanischen oder anderen ausländischen Hilfsgeldern gegründet wurden, um die jeweilige Propaganda, in diesem Fall die Illusion der präzisen Drohne, die ausschließlich militante Kämpfer tötet, zu verbreiten. All diese lokalen Meldungen werden auch von internationalen Nachrichtenagenturen aufgenommen und weiterverbreitet. Das Problem ist jedoch, dass die genannten Merkmale auf praktisch jeden erwachsenen Mann in diesen Gebieten zutreffen. Demnach sind alle männlichen Drohnen-Opfer in dieser Region »Terroristen«.
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