Im Islamischen Staat
Martin Leidenfrost über Terroristen in einem bosnischen Dorf, die mit Wiener und Grazer Kennzeichen unterwegs sind
An einem trüben Freitag im Ramadan fahre ich in den Islamischen Staat. Ich vermute ihn in einem bosnischen Dorf: Nach dem Bosnien-Krieg sollen sich in Ober-Maoča afghanische Gotteskrieger mit ihren bosnischen Frauen niedergelassen haben, auch bosnische Wahabiten sollen dort gelebt haben, der Urheber eines Anschlags auf die US-Botschaft in Sarajevo, ein salafistischer Prediger. 2010 stürmten 600 Polizisten den Weiler und sollen ein Waffenlager ausgehoben haben. Nun sollen einige Männer aus Ober-Maoča für den Islamischen Staat kämpfen, sie sollen auch schon mal dessen schwarze Fahne gehisst haben.
Ich fahre durch die propere Agglomeration Brčko in ein enger werdendes Tal hinauf. Wo der Asphalt endet, steht ein Polizeiwagen. Ein dicker gutmütiger Bosnier steigt aus. »Du solltest besser untertags hinauffahren«, meint der Polizist. Ich: »Es ist noch hell. Dann dürfen Sie mich eben nicht aufhalten!« Er nimmt seelenruhig meine Daten auf. Funkt einen Kollegen an, »ein Österreicher will zu Ihnen«, buchstabiert meine Daten. Die Fürsorge der Polizei beruhigt mich zunächst. Dann aber fragt mich der Polizist nach dem Vornamen meines Vaters. Dann muss ich ihm meine Telefonnummer förmlich aufdrängen. Dann verweigert er mir seine Nummer. Er eröffnet mir: »Die Zuständigkeit des Distrikts Brčko endet hier. Wenn was ist, darf ich nicht eingreifen.« Ich begreife, welche Nische die Islamisten im funktionsuntüchtigen bosnischen Staatsaufbau gefunden haben: Am Ende einer Sackgasse gelegen, untersteht Ober-Maoča dem muslimisch dominierten Teilstaat »Föderation«, mit dem es aber keine Straße verbindet.
Ich fahre die drei Kilometer hoch. Eine rumpelige Schotterstraße an einem Wildbach, rundherum Wald. Oben auf einer Lichtung nüchterne Häuser, einst von Serben erbaut, zum Teil graubraun verputzt. Alles schmucklos, heruntergelassene Jalousien. Kein Geschäft, kein Café, leblose Stille. Die Moschee erkenne ich nur, weil in diesem Moment der Muezzin ruft. Ich gehe zu Fuß hoch. Eine kleine Baracke am Steilhang, kein Minarett. Hinter einem flatternden Mückennetz sehe ich den Muezzin. Er kommt heraus, in blauen Plastikpantoffeln und grauem orientalischen Kleid, sein langer Bart läuft spitz zu. Seine Augen sind wasserblau. Sobald er mit mir Serbokroatisch spricht, erkenne ich in ihm den Einheimischen. »Warten Sie im Auto!«, sagt er mit feinem Lächeln, »es wird jemand zu Ihnen kommen.«
Im Auto wird mir bang. Ich will telefonieren, aber kein Empfang in Ober-Maoča. Ein Minibus mit dunklen Scheiben fährt vor. Der ebenfalls langbärtige Fahrer eines alten eckigen Kombi hält. »Es gibt niemanden, der mit Ihnen reden kann«, sagt er, »der Prediger ist weg.« - »Ist er in Irak? In Syrien?« - »Weiß nicht.« Mit gemessener Freundlichkeit weist er mir die Ausfahrt: »Sie haben freie Fahrt!« - »Aber der Muezzin hat gesagt …« - »Dann warte!«
Ich warte lange. Am nächstgelegenen Haus fällt mir auf, dass der einstige Wandelgang der Terrasse mit unverfugten Ziegeln zugestellt ist. Der Regen wird stärker, es wird dunkel. Endlich kommt der eckige Kombi runtergefahren. Niemand steigt aus. Ich gehe hin. Spreche ihn an, will mit ihm über den Islam und Europa reden. Der Bosnier bleibt am Steuer sitzen, schickt mich weg. »Du lügst«, sagt er. Ich zeige beteuernd meinen Presseausweis. »Ja eben. Ihr lügt alle.« - »Ist hier der Islamische Staat?« - »Ich weiß es nicht.«
Ich fahre weg. Erst im nachdenklichen Hinunterfahren wird mir bewusst, dass während des Wortgefechts drei kleine Jungs anwesend waren. Sie saßen dunkel gekleidet im schwarzen Kombi, senkten unbewegt den Blick, hatten nichts Kindliches an sich. Wieder im Distrikt Brčko angekommen, erzählt der gutmütige Polizist verschmitzt: »Weißt du, dass viele von ihnen inzwischen bei euch arbeiten?« - »Bei uns?« - »Ich sehe sie dauernd mit Wiener und Grazer Kennzeichen hoch und runter fahren.«
Als ich unten in Unter-Maoča die Lichter, das vertraute Leben, das Freitagnacht-Ausgehvolk sehe, bin ich erleichtert. Der wahre Schrecken kommt aber erst auf mich zu. Ich gehe ins erste Café, 25 Kilometer von der Grenze der EU heißt es »Evropa«, und die jungen Männer verteidigen ihre Nachbarn in Ober-Maoča: »Die sind aus der Gegend«, »sie kommen normal zum Einkaufen runter«, »nur ihr Journalisten macht Terroristen aus ihnen«, »bei der Razzia damals wurde nichts gefunden«, »das ist ihre Freiheit«, »es gibt nur einen Islam«.
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