Hartz-Strafen in Milliardenhöhe verhängt

Umstrittenen Sanktionen gegen Erwerbslose: Binnen sieben Jahren rund 1,5 Milliarden Euro staatliche Leistungen vorenthalten / Verbände: Rund 20.000 junge Menschen ganz »rausgefallen«

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Wegen der umstrittenen Strafmaßnahmen gegen Erwerbslose haben Hartz-IV-Bezieher in den vergangenen sieben Jahren rund 1,5 Milliarden Euro weniger staatliche Leistungen erhalten. Das geht aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) an die Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Linkenpolitiker sagte: »Die Sanktionen verstoßen insbesondere gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.«

Das Sozialgericht Gotha in Thüringen hatte die Leistungskürzungen im Mai als verfassungswidrig eingestuft. Die Menschenwürde werde angetastet, Leib und Leben gefährdet. Nun soll das Bundesverfassungsgericht den Bereich prüfen. Sozialverbände beklagen, dass gerade viele junge Menschen wegen Sanktionen gar nicht mehr im Jobcenter vorstellig werden und sich stattdessen auf eigene Faust durchschlagen - notfalls auf unrechtmäßigem Wege. Rund 20.000 junge Menschen sollen nach Schätzungen aus der Betreuung von Jobcenter oder Jugendamt »herausgefallen« sein.

2014 bekamen die von den Sanktionen Betroffenen im Schnitt 107 Euro weniger - die Sanktionen machten insgesamt 182 Millionen Euro aus. Der Hartz-IV-Regelsatz für Alleinstehende beträgt monatlich 399 Euro. Die Behörden können aber die Leistungen kürzen oder streichen - schon aus geringsten Gründen, oder wenn Betroffene Arbeits- oder Ausbildungsangebote ablehnen und Vorgaben des Jobcenters missachten.

Trotz langanhaltenden Widerstands der CSU wollen Union und SPD im Bundestag die Regeln für die umstrittenen Strafmaßnahmen dafür nun vereinfachen. »Wir peilen an, eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente und Rechtsvereinfachungen für Langzeitarbeitslose im Herbst auf den Weg zu bringen«, sagte der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Karl Schiewerling. Für junge Menschen sollten Sanktionen nicht wegfallen, aber »vernünftig« gestaltet werden. »Die Jobcenter sollen durch die Rechtsvereinfachungen von Bürokratie entlastet werden und sich verstärkt um Langzeitarbeitslose kümmern.«

Die SPD-Sozialexpertin Katja Mast sagte, jüngere Arbeitslose sollten bei Sanktionen künftig so behandelt werden wie ältere. »Außerdem müssen wir die Sinnhaftigkeit der Sanktionen bei Geldern für die Unterkunft infrage stellen.« Statt Menschen in Arbeit zu bringen, drohe bei der Kürzung von Mietkostenzuschüssen Obdachlosigkeit und eine weitere Entfernung vom Arbeitsmarkt.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte bereits vor einem Jahr Sanktionsvereinfachungen vorgeschlagen. Unter-25-Jährige sollten etwa nicht mehr strenger behandelt werden als Ältere. Bayern hatte aber seine Ablehnung klargemacht. CSU-Chef Horst Seehofer hatte sich später auch öffentlich gegen Sanktionsentschärfungen gestellt.

Schiewerling machte deutlich, dass die Koalition auch weitere Schritte gegen die Langzeitarbeitslosigkeit plane. »Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die von der guten Konjunktur nicht profitieren.« Ein Konzept der CDU/CSU-Fraktion sieht etwa vor, dass die Jobcenter Arbeitgebern die Einstellung etwa von Betroffenen mit gesundheitlichen Hemmnissen erleichtern. dpa/nd

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