Helm auf?
Thüringen diskutiert über eine Verpflichtung
Linkspartei und SPD in Thüringen debattieren öffentlich über den Sinn einer Helmpflicht für Fahrradfahrer. Nachdem der LINKE-Landtagsabgeordnete Frank Kuschel für eine solche Regelung plädiert hatte, ließen die Sozialdemokraten diesen Vorstoß durch keinen geringeren als ihren Landesvorsitzenden Andreas Bausewein zurückweisen. »Wir setzen auf die Selbstbestimmung der Bürger und wollen diese nicht bevormunden«, erklärte Bausewein in einer Pressemitteilung. »Wer auf die Radwege und Straßen Thüringer Städte blickt, der kann feststellen, dass viele Menschen im Radverkehr vernünftig sind und einen Fahrradhelm tragen.« Dass sich ausgerechnet Bausewein für seine Partei zu diesem Thema äußert, ist schon deshalb bemerkenswert, weil der Sozialdemokrat in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender zuletzt nur selten in Erscheinung getreten war.
Kuschel hatte am Mittwoch gesagt, für ihn gebe es keinen Zweifel daran, dass Rot-Rot-Grün für die Einführung einer Helmpflicht für Fahrradfahrer werben müsse. »Wir werden die Landesregierung auffordern, sich auf Bundesebene für eine solche Vorgabe einzusetzen«, hatte Kuschel gesagt. Der »gesunde Menschenverstand« reiche aus, um zu erkennen, wie richtig eine solche Regelung sei. »Das ist wie die Gurtpflicht im Auto.« In einer Gesellschaft, die immer mehr auf Mobilität setze, brauche man klare Regeln. »Für mich als Privatperson stellt sich gar nicht die Frage, ob ich beim Radfahren einen Helm trage. Der Kopf ist eines der wichtigsten Körperteile, die ich habe«, sagte Kuschel. Das Thüringer Verkehrsministerium hat im vergangenen Jahr 20 000 Euro für die Mitfinanzierung eines Gutachtens ausgegeben, mit dem unter anderem ergründet werden soll, wie mehr Menschen in Deutschland dazu bewogen werden können, beim Radfahren einen Helm zu tragen.
Die Einsicht, dass ein Helm für Radfahrer ein Sicherheitsplus bedeutet, habe sich längst durchgesetzt, sagte Bausewein. »Viele Erwachsene sind hier Vorbild für Kinder und Jugendliche. Die Politik muss nicht alles regeln und vor allem keine Regeln schaffen für Dinge, die offensichtlich auch so gut funktionieren.« Jenseits der Tatsache, dass man grundsätzlich keine Helmpflicht für Fahrradfahrer in Deutschland brauche, werde es »ein Kontrolldefizit« geben, sollte eine solche Vorgabe eingeführt werden, sagte Bausewein. Die Ordnungsbehörden hätten wichtigere Aufgaben, »als Radfahrern hinterherzujagen, die keinen Helm tragen«, sagte er. »Das ist eine Bürokratie, die wir uns sparen können.«
Kuschel wiederum reagierte mit Verwunderung auf die Reaktion der Sozialdemokraten. Im vergangenen Jahr hätten SPD-Bundespolitiker doch eine Helmpflicht zumindest für E-Bikes ins Gespräch gebracht.
In den vergangenen Wochen und Monaten waren bereits zu verschiedenen Politikfeldern immer wieder unterschiedliche Vorstellungen von Linkspartei, SPD und Grüne deutlich geworden. Um die Finanzierung der freien Schulen im Land hatte sich das Dreierbündnis monatelang gestritten, bis der entsprechende Neuregelungskompromiss am Donnerstag erstmals im Landtag debattiert wurde. Unmittelbar nachdem dieser Konflikt beigelegt war, sorgten die Grünen bei den Sozialdemokraten für Unmut weil ihr Fraktionsvorsitzender Dirk Adams in einem Zeitungsinterview ein zentrales Projekt von Rot-Rot-Grün in Frage gestellt hatten: Die Einführung eines für Eltern beitragsfreien Kita-Jahres im Freistaat. Der Vorstoß war zwischen den Partnern offenbar nicht abgestimmt gewesen. »Ich bin ein großer Freund interner Klärungsprozesse«, hatte der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey daraufhin gesagt. »Wenn Dirk Adams andere Vorstellungen zu einem zentralen Projekt des Koalitionsvertrages hat, dann tut er gut daran, diese zunächst in der Koalition vorzustellen. Das ist der Ort, wo so etwas diskutiert werden kann. Ich möchte solche Ideen nicht erst aus der Zeitung erfahren!« Auch von dem LINKE-Vorschlag zu Helmpflicht hatten die Sozialdemokraten erst aus der Zeitung erfahren.
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