Die Geladenen

Pegida, AfD & Co. sind auch ein Ventil für die »zornigen alten Männer« im Osten

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 5 Min.
Sie sind verärgert über Politik und Medien, erbost über die Russlandpolitik und über Zuwanderung: zornige alte Männer im Osten. In Sachsen sucht man ins Gespräch zu kommen - was nicht leicht ist.

Zuerst will er einen Glückwunsch an Frauke Petry loswerden, die zur Bundeschefin der AfD gewählt wurde: »Das ist gut so«, sagt Heinz Gollan-Müller. Dann lässt der Maschinenbauingenieur aus Dresden Dampf ab. Es geht um die Zuwanderung aus Kosovo. Gollan-Müller, dessen 1992 gegründetes Unternehmen für Umwelttechnik viel in Osteuropa tätig ist, glaubt sich auszukennen. Deutschland lasse zu viele Kosovaren ins Land und verschwende dann Geld für die, wie er sagt, »Aufbewahrung chancenloser Flüchtlinge«. Das sei Teil einer »unsäglichen Einwanderungspolitik«. Lieber solle man für mehr Jobs in Kosovo sorgen. Er habe dazu das »Konzept« für ein »Kompetenzzentrum für Re-Integration« entworfen und der zuständigen sächsischen Ministerin geschickt, sagt Gollan-Müller. Er bekam, fügt er bitter an, »nicht mal eine Eingangsbestätigung«.

An diesem Abend in der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung darf Gollan-Müller reden - als einer von etlichen »zornigen alten Männern«, von denen im Titel der Veranstaltung die Rede ist. Frank Richter, der Chef der Landeszentrale, hat diese in den vergangenen Monaten zur Genüge kennengelernt. Sie überhäufen sein Haus mit Briefen; sie stellen einen nennenswerten Teil der »Spaziergänger« bei Pegida; sie drängen ans Mikrofon bei Diskussionsveranstaltungen zum Thema Asyl, wie die Landeszentrale sie moderiert. Es sind Männer, die viel Lebenserfahrung haben, klare Wertvorstellungen und solides Fachwissen, sagt Richter - und die frustriert sind, weil sie mit diesem Wissen kein Gehör finden.

Dabei sind sie in vielen Fällen überzeugt, es besser zu wissen als die Politiker und daher Ratschläge geben zu können. Alexander Haritonow, ein seit 1987 in Dresden lebender Historiker, empfiehlt, mehr russische Nachrichten zu hören und zu lesen, um einseitige Informationen zum Konflikt in der Ukraine einordnen zu können. Lothar Wilczek, der 25 Jahre als Diakon in Kenia arbeitete und jetzt bei Freiberg lebt, schimpft über eine Unterbringung von Flüchtlingen ohne Rücksicht auf Herkunft und Religion, die zu Konflikten führe und zu Ärger und Streit - zwischen den Migranten selbst, aber auch mit deutschen Nachbarn, wie er anfügt: »Unsere Bürger kochen vor Wut.«

In der Landeszentrale zeigt sich freilich auch, dass die alten Männer zwar gern ihre Meinung sagen, es aber nicht mögen, wenn ihnen widersprochen wird. Als die SPD-Politikerin Hanka Kliese anregt, auch mal einen »zornigen alten Flüchtling« einzuladen, wird gefordert, das Mikrofon abzudrehen; als sie anmerkt, die »pauschalierendsten Bemerkungen« erhielten leider den größten Applaus, erntet sie Buhrufe. »Typisch Politiker« hat in der Runde den Stellenwert einer Beleidigung. Ausgenommen wird lediglich Frauke Petry, der freundliche Aufmerksamkeit gilt. Als dagegen Karlheinz Gerstenberg, ein auch bereits 63 Jahre alter Ex-Abgeordneter der Bündnisgrünen, Wilczeks Charakterisierung der geschickten, aber generell »sehr, sehr langsamen« Afrikaner als unzutreffendes »Pauschalurteil« bezeichnet und außerdem feststellt, manche Äußerung von Gollan-Müller sei »zitierfähig bei Neonazis«, macht ein Zuhörer gar eine Erschießungsgeste.

Zorn, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt, ist eigentlich eine produktive Emotion: Sie sei gespeist aus der Überzeugung, »dass die Dinge besser laufen könnten«. Das Gefühl trieb einst eine ganze Generation von jungen britischen Schriftstellern, die in den Fünfzigern und Sechzigern soziale Missstände und die unschönen Folgen der Klassengesellschaft zum Thema machten. Es waren »angry young men«, zornige junge Männer, die so genannt wurden nach John Osbornes Theaterstück »Blick zurück im Zorn«. In der Bundesrepublik sprach »Weltbühne«-Autor Axel Eggebrecht später von Schriftstellern wie Heinrich Böll als »zornigen alten Männern«. Zuletzt demonstrierten solche Männer (zusammen mit vielen Frauen) gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Meist werden sie als »Wutbürger« bezeichnet. Es seien, sagt der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg von der TU Dresden, »Achtundsechziger, die ins Rentenalter gekommen sind«.

Der Zorn im Osten, sagt der 72-jährige Rehberg, ist ein anderer. Es ist die Wut von Männern, die den Umbruch von 1989 als Enttäuschung und Entwertung ihrer Lebensleistung empfänden; denen sich seither das Gefühl vermittelt, ihre Kenntnisse würden als weniger wertvoll angesehen; die teils ihre in der DDR gepflegte »Halbdistanz zum System« weiter praktizierten. Es sei zudem ein Zorn, der »mit Vorurteilen aufgeladen« ist: Ressentiments gegen »die« Politik, »die« Medien oder »die« Ausländer. Die Wut ist diffus und breit gestreut, und sie hat sich lange angestaut. Am ehesten bekamen den Frust womöglich die Ehefrauen jener zornigen alten Männer zu spüren, sagt Kerstin Köditz, Politikerin der LINKEN mit Faible für Geschlechterfragen: »Frauen, die nie für ein gelungenes Essen gelobt werden, aber Schelte einstecken müssen, wenn der Salzstreuer an der falschen Stelle steht.«

Nach außen blieb der Ärger lange verborgen; er äußerte sich höchstens am Stammtisch, im Gartenverein oder in Leserbriefspalten. Rehberg vergleicht das mit einer Flasche, in der es gärt, die aber verkorkt ist. Seit einigen Monaten scheint sich der Korken bei manchen gelöst zu haben: Pegida, AfD & Co. haben die Attitüde des »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« salonfähig gemacht. Was der Flasche entweicht, riecht freilich oft alles andere als angenehm.

Und nun? Hanka Kliese beklagt, das Veranstaltungsformat in der Landeszentrale habe kein Gespräch erlaubt: Äußerung stand gegen Äußerung. Rehberg findet das in Ordnung - vorerst. Zunächst müsse der Frust »entriegelt« werden: »Es geht darum, dass es überhaupt einmal gesagt wird.« Dabei dürfe es jedoch nicht bleiben. Man müsse danach auch bereit sein, den eigenen Ärger »kritisch zu befragen«. Der Politologe Patzelt wirbt gar für eine »Grundstimmung der Gutwilligkeit«, wenn man nicht im »Bekenntniswettbewerb« verharren wolle. Wut, die Offenheit weicht? Das ist freilich sehr viel verlangt, nicht nur von zornigen alten Männern.

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