Die Macht der Kartelle
Neues von Don Winslow
Geht es um den Schmuggel von Kokain, Crystal Meth und Heroin, ist und bleibt Mexiko das Zentrum der Welt. Die Drogenkartelle haben das Land fest im Griff und finanzieren eine enorme Schattenwirtschaft: Restaurants, Hotels, Kfz-Werkstätten. Folter, Mord, Entführung und Schutzgelderpressung stehen auf der Tagesordnung. Seit ein paar Jahren kommt das lukrative Flüchtlingsgeschäft hinzu.
Dass sich die Literatur jüngerer Zeit, etwa in Roberto Bolañns »2666«, Jennifer Clements »Gebete für die Vermissten« oder Yuri Herreras »Der König, die Sonne, der Tod«, der schwierigen Lebensverhältnisse der mexikanischen Bevölkerung angenommen hat, ist sicher ein großer Lesegewinn, zumal diese Bücher anschaulich und mit viel Empathie in die Tiefe dringen. Es ändert aber natürlich nichts an der Situation schicksalsschwer Betroffener. So wenig wie Don Winslows jüngster, 800 Seiten fassender Aufklärungsthriller »Das Kartell«.
Starrautor Winslow, 61, wird seit »Tage der Toten« von 2006, seinem spannenden und klug komponierten Opus magnum über den mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg, nicht müde zu betonen, dass das mexikanische Drogenproblem nicht zuletzt ein amerikanisches sei. Eben weil die US-Amerikaner als kaufkräftigste Klientel die Hauptnachfrage besorgten.
In »Das Kartell«, der Fortsetzung von »Tage der Toten«, legt er diese Worte prompt einem seiner beiden Hauptprotagonisten in den Mund. Der Mann heißt Art Keller. Winslow-Fans kennen ihn bereits aus dem ersten Teil, der ungefähr dort endet, wo der zweite beginnt. DEA-Agent Keller hatte seinen Gegenspieler, den mächtigen Boss des Sinaloa-Kartells Adán Barrera, ins Gefängnis gebracht. Nun ist Barrera ausgebrochen und Drogenfahnder Keller reaktiviert - um ihn erneut zu fassen.
»Das Kartell« kann literarisch nicht wirklich überzeugen, wobei viele der Figuren und die so minutiös wie drastisch geschilderten Folter-, Mord- und Massaker-Szenen reale Vorbilder haben. Aber was heißt das schon literarisch? Winslow sagt, er hätte so viel Wut im Bauch gehabt, nachdem sich die Brutalität des mexikanischen Drogengeschäfts seit 2004 ins beinahe Unendliche gesteigert hätte - da musste unbedingt ein zweiter Teil her. Leider kapriziert er sich auf den zunehmend unglaubwürdigeren Zweikampf Kellers und Barreras.
Es hagelt Thriller-Klischees und lieblos runtergeplapperte Dialoge. Die meisten Figuren sind aus Pappe. Über die häufig schreckliche, immer ambivalente innere Wirklichkeit der mexikanischen Drogen-Gesellschaft erfährt man nicht viel. Aber man kann natürlich auch sehr gute Bücher, wie die oben genannten, lesen, oder Filme schauen, die einem sogar noch mehr erzählen. »Heli« (2014) von Amat Escalante ist so ein Film. Wahrhaftig trostlos, abgründig, atmosphärisch dicht. Er atmet die menschenverachtende Lebenswelt, von der er handelt.
Don Winslow: Das Kartell. Aus dem amerikanischen Englisch von Chris Hirte. Droemer. 832 S., br., 16,99 €.
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