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Oxi und der Pessimismus

Europa wird jetzt das, was es immer sein sollte: ein neoliberaler Ort

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 3 Min.
Europa ist nicht etwa tot, wie viele unken. Es ist jetzt nur das, was es immer werden sollte: Eine graue Bürokratie weitab von Alternativen, Demokratie und sozialer Ausrichtung. Vielleicht war Oxi das letzte Zucken alter Wertvorstellungen. Jetzt sind die Wege frei für Hochfinanz und TTIP.

61 Prozent der Griechen, die zur Urne stürmten, riefen laut Nein. Was für ein Einschlag das war am Sonntag vor zwei Wochen. Ich schlug mir auf die Schenkel. Damit hatte ich nie und nimmer gerechnet. Tsipras war damit ein Coup gelungen. Griechenland stand auf. Das hatte was von einer plebiszitären Revolution gegen ein Europa, das sich als Wirtschaftszone versteht, nicht aber als der Lebensraum von Europäern verschiedenster kultureller Herkünfte. Oxi bot zwar keine Alternative im eigentlichen Sinne. Aber es war zunächst mal das notwendige Nein zu einer Politik, die die Menschen in den Abgrund spart und die Perspektiven, Hoffnungen und Wünsche von Jung und Alt unter sich begräbt. Man kann viel über Geld sprechen, aber was ist ein Gemeinwesen wert, in dem Menschen keine Zukunftspläne mehr schmieden, weil alles trostlos ist? Das hat die Troika, das haben die Rädelsführer aus Berlin in all den Jahren nicht begriffen: Eine Kontinentalunion, die die Perspektivlosigkeit nicht nur duldet, sondern zur Agenda macht, schafft Tristesse und nicht etwa ökonomische Zuversicht, wie man das dieser Tage zuweilen liest.

Es waren also 61 Prozent und Hoffnungen, die da aufkeimten. Seither ist nur wenig Zeit ins Land gegangen. Eigentlich nur Stunden und wir wissen: Oxi war letztlich nichts wert. Die linke Regierung eines relativ kleinen Landes hatte nicht die Kraft, sich weiterhin den europäischen Forderungen in den Weg zu stellen. Sie ist eingebrochen unter dem Druck. Tsipras machte Zugeständnisse, die bitterer sind als alles, was bis dahin auf dem Plan stand. Es ist fast so, als haben die, die sich die Geberländer nennen, nach dem Referendum Rachegelüste entwickelt und nun noch mal boshaft die Forderungen verschärft. Griechenland wird wohl alles erfüllen. Renten werden weiter sinken. Jugendarbeitslosigkeit steigen. Junge Menschen werden nie lernen, wie es ist, ein bisschen Zukunftspläne zu schmieden. Sie bleiben ohne Beschäftigung, verarmen und müssen über kurz oder lang Familie und Heimat verlassen, um vielleicht in Deutschland in einer Taverne den Servierclown für deutsche Gourmets zu geben.

Kritiker sagen, dass Europa nun tot sei. Ist es aber nicht. Europa ist nun auf dem Weg, das zu werden, was es immer sein sollte. Ein neoliberaler Ort durch und durch, in dem es keine politischen Alternativen, möglichst wenig Demokratie und keine »Sozialromantik« mehr gibt. Es wird der Kontinent sein, den sich die Ökonomen auf Basis der schwäbischen Hausfrau immer gewünscht haben. Ein Ort, an dem es an Geldern für Ressorts mangelt, die keinen direkten pekuniären Wert managen. Alles, was das Leben lebenswert macht, landet so unter der Spitze des Rotstifts. Und weniger Bibliotheken bedeuten ja auch, dass die Menschen weniger lesen und daher weniger Vorstellungen von einer anderen Welt haben, die es für sie nicht mehr gibt. Europa wird nach dem Einstampfen von Oxi mehr denn je eine Kosten-Nutzen-Frage sein. Auch Demokratie kostet nur und nützt dem Kapital so gut wie nichts.

TTIP ist ebenso nur eine Frage der Zeit. Wer soll noch Oxi sagen? Dieses große Nein der Griechen hat schon nichts genützt. Woher soll der Mumm kommen, wieder mal Nein zu sagen? Bringt es überhaupt noch was? Der Pessimismus ist keine Modefrage mehr – er ist Gewissheit. Jasager werden noch trendiger, als sie es eh schon waren. Denn in diesem Europa hat eine Kulturrevolution vor unser aller Augen stattgefunden. Man hat den Volkswillen beseitigt und so getan, als kümmere es überhaupt nicht, was Millionen von Menschen in Griechenland kundtaten. Vielleicht war dieses Oxi tatsächlich nur das letzte Zucken alter Wertevorstellungen. Und jetzt ist die Alternativlosigkeit endgültig manifest. Alles marktkonform natürlich. Wahrscheinlich wars das. Ich hoffe jedoch, ich täusche mich.

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