Die 1000-Milliarden-Dollar-Frage
Aus vielen Entwicklungsländern fließt mehr Geld ab als zu
»Unsere Generation ist die erste, die die Armut in der Welt überwinden kann und die letzte, die den Klimawandel stoppen kann.« So fasst UN-Chef Ban Ki-moon die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zusammen. Um Armut, Hunger und Krankheit zu überwinden, werden die Länder der Welt im September die Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) verabschieden. Dieser Zielkatalog soll der Koordinierung der Entwicklungspolitik bis zum Jahr 2030 dienen. Und um die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, soll im Dezember in Paris ein neuer Weltklimavertrag unterzeichnet werden.
Doch die erfolgreiche Überwindung der beiden Herausforderungen kostet viel Geld. Die UN Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD schätzt, dass für die Erreichung der SDGs jährliche Investitionen von 3300 bis 4500 Milliarden Dollar (3000 bis 4130 Milliarden Euro) allein in den Entwicklungsländern erforderlich sind. Davon sind 2500 Milliarden noch nicht gedeckt. Dem stehen Entwicklungshilfegelder von derzeit 135 Milliarden Dollar (2013) gegenüber - ein Allzeithoch, auch wenn die Entwicklungsausgaben der Industriestaaten noch immer weit von den im Jahr 1970 versprochenen 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entfernt sind.
Trotzdem ist klar, dass die Umsetzung der SDGs und die Begrenzung des Klimawandels nicht allein mit Entwicklungshilfe- und Klimageldern finanziert werden kann. Glücklicherweise existiert aber eine bislang ungenutzte Geldquelle: Schwarzgeldflüsse. Jährlich verlieren die Entwicklungsländer durch illegale Abflüsse 1000 Milliarden Dollar, schätzt das US-Forschungsinstitut Global Financial Integrity. Um die Quelle anzuzapfen, haben die Länder der Welt diese Woche auf der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba (Äthiopien) mehrere Maßnahmen beschlossen. »Dass das Abkommen zu einer Eliminierung von Schwarzgeldflüssen aufruft, ist beispiellos. Zum ersten Mal gibt es einen Konsens zu diesem Thema«, sagte Tom Cardamone, Chef der Nichtregierungsorganisation Global Financial Integrity.
So sollen weltweit alle Firmen und Stiftungen öffentlich bekannt machen, wem ihre Gewinne zufließen. Damit soll es korrupten Eliten unmöglich gemacht werden, ihre Länder auszuplündern. Ein Beispiel ist Nigeria: Der frühere Chef der nigerianischen Zentralbank, Lamido Sabusi, hat verglichen, wie viel Öl Nigeria exportiert und wie viel nigerianisches Öl der Rest der Welt importiert. Der Unterschied ist frappierend: Die (offiziellen) nigerianischen Exporte lagen im Jahr 2013 um 20 Milliarden Dollar unter den Importen von nigerianischem Öl. Der nigerianischen Elite ist es also gelungen, 20 Milliarden Dollar verschwinden zu lassen - in nur einem Jahr.
Ein weiteres Problem, das die Länder der Welt nun gemeinsam angehen wollen, sind die Steuerpraktiken multinationaler Unternehmen. Dank ihrer Tochterfirmen können sie Gewinne in Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen verschieben. Dadurch gehen den Entwicklungsländern Jahr für Jahr 100 Milliarden Dollar verloren, schätzt die UNCTAD. Daher sollen Multis in Zukunft Land für Land ausweisen, wie viel Geld sie verdient und wie viele Steuern sie bezahlt haben.
Zudem wurde vereinbart, dass Industriestaaten Entwicklungsländer beim Aufbau effektiver Steuerbehörden unterstützen. Der deutsche Staatssekretär Friedrich Kitschelt sagte dazu: »Wer Steuersysteme fördert, stärkt damit zugleich die Demokratie.« Erfahrungen zeigten, dass Steuerzahler mitbestimmen wollten, wie ihr Geld ausgegeben werde. Unterstützung erfuhr zudem die Initiative »Steuerprüfer ohne Grenzen« der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Hier helfen (meist pensionierte) Steuerprüfer aus Industriestaaten ihren Kollegen in Entwicklungsländern. Pilotprojekte zeigen, dass damit oft erstaunliche Verbesserungen des Steueraufkommens erzielt werden können: So hat ein Projekt in Kolumbien zu zehnmal höheren Steuereinnahmen innerhalb von drei Jahren geführt.
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