»Was mich wirklich quält«

Wolfgang Schäuble begehrt gegen Angela Merkel auf. Die Kanzlerin hat ihren Finanzminister nun in die Schranken gewiesen. Der Streit berührt das Fundament ihrer Macht

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist kein lauter Streit, niemand pöbelt herum, wie man es bisweilen aus der CSU kennt. Doch zu übersehen ist der Konflikt zwischen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble schon länger nicht mehr. Es geht um die Berliner Griechenland-Politik, auch um Europa, auch um die Wortführerschaft in der CDU. Leise, aber in aller Schärfe. Es ist ein Streit, der das Fundament der Bundesregierung berührt, auch die Kanzlerschaft Merkels.

Merkel hat jetzt ein Ende der Debatte verlangt, ein für die CDU-Vorsitzende deutliches Machtwort, verbunden mit der klaren Ansage an ihren Finanzminister, er solle nicht einmal daran denken, eine andere Linie zu verfolgen als die nun auf dem Brüsseler Gipfel vereinbarte. »Ich glaube, dass das Wichtige jetzt wirklich das Ergebnis ist. Und das muss jetzt umgesetzt werden«, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD.

Dies war in den Medien als Reaktionen auf die Differenzen zwischen Schäuble und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel interpretiert worden. Der SPD-Chef, selbst lange Zeit einer jener deutschen Politiker, die laut über ein mögliches Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone redeten, hatte Schäuble für dessen Grexit-Drohung gegen die SYRIZA-geführte Regierung kritisiert. Doch der langgediente CDU-Mann hatte sein Kokettieren mit einem möglichen Rücktritt sicher nicht als Signal an Gabriel verstanden – den er wegen dessen oft wechselnder Positionen wohl gar nicht für satisfaktionsfähig hält.

Schäubles Interview im »Spiegel« war gegen Merkel gerichtet, eine so leise wie deutliche Drohung des Finanzministers, ein Aufbegehren, das in der Logik nicht nur des Konflikts der vergangenen Wochen liegt, sondern auch durch die Medien vorbereitet wurde. Falls jemand versuchen würde, ihn zu etwas zu zwingen, »könnte ich zum Bundespräsidenten gehen und um meine Entlassung bitten«, hatte Schäuble gesagt. Im Hinterkopf seine Grexit-Idee, über die er wieder und wieder spricht, sie verteidigt – auch noch nach dem Brüsseler Gipfel.

Merkel mag ebenfalls mit der Möglichkeit eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone gespielt haben. Aber sie hat sich dann dagegen entschieden. Das war jenem Lager der veröffentlichten Meinung gegen den Strich gegangen, das eine radikale Politik gegen Athen und die dortige Linkspartei einfordert, und gegen jede Korrektur des autoritär-neoliberalen europäischen Kurses der Bundesregierung steht. Merkel müsse »sich jetzt entscheiden: für ein bürgerliches Europa oder für ein sozialistisches«, so hieß es vor ein paar Tagen unter Berufung auf eine namenlose Quelle in einer Zeitung. »Nur ein Mann könnte den Grexit jetzt noch erzwingen: Schäuble.« Und: »Wäre es vorstellbar, dass die Union ihre eigenen Kanzlerin stürzt?«

Schäuble hat in dem Gespräch mit dem »Spiegel« ausführlich die deutsche Position gegen die SYRIZA-geführte Regierung verteidigt. Es ist seine Position. Angesprochen auf die Differenzen mit Merkel, die keine Erfindung der Presse aus den letzten Tagen sind, sondern die krisenpolitische Debatte seit längerem begleiten, sagte der CDU-Mann: »Die Kanzlerin und ich betreiben keine Rollenspiele.« Er sagte aber auch: »Jeder hat seine Überzeugungen.« Und dann kommt die Passage, in der Schäuble mit seinem Rücktritt kokettiert. Am stärksten übrigens in jener Formulierung, in der er dies dementiert. Ob er darüber nachdenke, fragt die Politillustrierte. »Nein, wie kommen Sie darauf?«

Schäuble hat hohe Zustimmungswerte in der Bevölkerung, Merkel auch. In der Unionsfraktion im Bundestag ist er für eine immer größer werdende Gruppe von Abgeordneten aber so etwas wie ihr heimlicher Kanzler. In der Debatte am vergangenen Freitag über das Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen über ein weiteres Kreditprogramm für Griechenland war es Schäuble, der den deutlicheren Beifall aus der Union erhielt – selbst als Merkel redete und die Arbeit des Finanzministers ansprach.

Der Finanzminister selbst hatte am Freitag klar erkennen lassen, dass er die in Brüssel gefundene Einigung nicht für die beste Lösung hält. »Ich habe mir, die Bundesregierung hat sich den Antrag nicht leicht gemacht«, so waren im Bundestag seine Worte. »Was mich wirklich quält und worum ich ringe, ist: in meiner Verantwortung als Bundesfinanzminister als Teil einer gemeinsamen Regierung – glauben Sie mir, da muss mich niemand belehren – meiner Verantwortung gerecht zu werden, an einer Lösung mitzuwirken, von der ich Ihnen allen und den deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sagen kann: Ich bin davon überzeugt, dass diese Lösung funktionieren kann.«

Schäuble ist davon nicht überzeugt. Er hat schon am Freitag über sich selbst als Politiker und den Finanzminister als Teil einer Regierung wie über zwei unterschiedliche Personen gesprochen. Es werde der Weg, den Merkel in den frühen Morgenstunden von Alexis Tsipras abverlangt, »einer sein, den viele in Deutschland und Europa weiterhin als eine zu große Belastung für die Menschen ansehen«. Schäuble hat im Bundestag immer wieder eines angesprochen: Es solle nicht später vergessen sein, was heute hier gesagt wurde. Er meint: wovor er warnt.

Merkel weiß, dass es nicht Schäuble selbst ist, der ihr als direkter Konkurrent politisch insofern gefährlich werden könnte. Aber Schäubles gegenwärtige Stärke, der Rückhalt in der Fraktion bedroht ihre Unangefochtenheit. Schäuble hat seine Fans, die nun in dem Streit über den Griechenland-Kurs auch eine Chance sehen, gegen die ihrer Meinung nach zu sozialdemokratische Politik der Kanzlerin anzugehen.

Der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach etwa, der nun sagt: »Wir brauchen Schäuble mehr denn je.« In der »Rheinischen Post« sagt Michelbach, der Finanzminister binde »die Leute, die sehr skeptisch sind, mit ein für ein gemeinsames Europa«. Auch das ist eine Stärke Schäubles, die Merkel gefährlich werden kann in Zeiten, in denen die Gesellschaft nach rechts rückt, in denen die soziale Frage wieder immer stärker nationalisiert wird. Schäuble weiß um seine öffentliche Rolle als Sprachrohr jener Mehrheit, bei der die anhaltende Diffamierung der griechischen Regierung ebenso gewirkt hat, wie es in dieser Mehrheit auch einen nationalistischen Anspruch auf Vorrang in Europa gibt.

Die CDU-Vorsitzende hat deshalb Schäuble in der ARD rhetorisch auf seinen Platz verwiesen. »Wir haben ein gemeinsames Ergebnis und der Finanzminister wird genauso wie ich jetzt diese Verhandlungen führen.« Genauso wie sie. Nicht mit einer eigenen Position. Nicht mit der wieder und wieder hervorgekramten Grexit-Drohung, dem »Plan in der Schublade«, jenem Papier aus dem Bundesfinanzministerium, das einerseits die radikale Strategie Berlins gegen Griechenland mit zum Erfolg führte – andererseits aber nun auch die Konflikte in der Regierung zugespitzt hat.

Merkel will Ruhe. »Bei mir war niemand und hat um irgendeine Entlassung gebeten. Und ich habe auch nicht die Absicht, diese Diskussion weiter zu führen«, hat die Kanzlerin am Samstag in der ARD erklärt. »Jetzt ist dazu alles gesagt und jetzt gucken wir mal nach vorne.« Da, in der Zukunft, liegt Merkels nächste Kanzlerschaft. Es gab bisher wenig Zweifel daran, dass die CDU-Chefin auch nach 2017 weitermacht. Der Streit mit Schäuble hat nun welche gesät.

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