OLG München lehnt Entlassung der Zschäpe-Verteidiger ab

Verteidiger wollten aus NSU-Prozess ausscheiden / Streit zwischen Anwälten / Zschäpe zeigt Befremden über Gespräche mit Gericht

  • Lesedauer: 4 Min.

Update 15.35 Uhr: OLG München lehnt Entlassung der Zschäpe-Verteidiger ab
Im NSU-Prozess hat das Oberlandesgericht München am Montag den Antrag der bisherigen drei Pflichtverteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auf Entbindung von ihrem Mandat abgelehnt. Damit kann der bereits seit über zwei Jahren laufende Prozess fortgesetzt werden. Es gebe in dem Antrag keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine nachhaltig gestörte Zusammenarbeit der Verteidiger mit Zschäpe, befand das Gericht.

Update 15.20 Uhr: Gericht will im NSU-Prozess schnell über Verteidiger entscheiden
Im NSU-Prozess soll es eine rasche Entscheidung über die von den bisherigen drei Pflichtverteidigern der Hauptangeklagten Beate Zschäpe beantragte Endbindung von ihrem Mandat geben. »Ich gedenke, möglichst schnell darüber zu entscheiden«, sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am Montag. Ob es noch im Laufe des Tages eine Entscheidung geben könnte, sagte Götzl allerdings nicht.

Von Zschäpes Festnahme bis zum NSU-Prozess

Die rechtsextreme Terrorzelle »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) soll von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet haben. Neben acht Türken und einem Griechen wurde in Heilbronn eine 22 Jahre alte Polizistin getötet. Ein Rückblick:

4. November 2011: Nach einem missglückten Banküberfall werden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem ausgebrannten Wohnwagen in Thüringen gefunden. Bei ihnen sind die Waffen zweier Polizisten, die 2007 in Heilbronn getötet beziehungsweise schwer verletzt wurden.

8. November: Beate Zschäpe stellt sich der Polizei in Jena.

11. November: Zum Polizistenmord von Heilbronn übernimmt die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen. Es gibt offenbar Verbindungen zu den anderen Morden.

13. November: Der Bundesgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Zschäpe.

14. November: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert Aufklärung vom Verfassungsschutz. In mehreren Bundesländern kommen Pannen bei der Fahndung nach der Terrorgruppe ans Licht.

27. Januar 2012: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages nimmt in Berlin seine Arbeit auf.

28. Juni: Es wird bekannt, dass beim Verfassungsschutz Akten vernichtet wurden, nachdem die Terrorgruppe aufgeflogen war.

2. Juli: Nach den schweren Ermittlungspannen räumt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Posten.

8. November: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

6. Mai 2013: In München beginnt der Prozess gegen die Terrorgruppe NSU. Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe.

22. August: Der Untersuchungsausschuss des Bundestages legt seinen Abschlussbericht vor. Er wirft den Sicherheitsbehörden schwere Versäumnisse bei den Ermittlungen gegen die Terrorzelle vor.

16. Juli 2014: Beate Zschäpe gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Doch wenige Tage später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

20. Juli 2015: Zschäpes Verteidiger beantragen, von ihren Pflichtmandaten entbunden zu werden. dpa/nd

Zu dem Antrag gab es am Montag eine Reihe Stellungnahmen aller Prozessbeteiligten. Unter anderem offenbarte der Vorsitzende Richter interne Gespräche mit dem bisherigen Verteidiger-Trio. Demnach gaben diese ihm gegenüber an, die in dem Verfahren beharrlich schweigende Zschäpe niemals an einer Aussage gehindert zu haben. Der erst neu als vierter Pflichtverteidiger auf Wunsch Zschäpes in das Verfahren eingestiegene Rechtsanwalt Mathias Grasel sagte, seine Mandantin habe nichts von den Gesprächen zwischen dem Gericht und den drei alten Verteidigern gewusst. Es führe »naturgemäß zu Befremden« bei Zschäpe, dass über ihre angebliche Aussagebereitschaft gesprochen worden sei. Das Verfahren wurde wegen des Hin und Hers der verschiedenen Äußerungen am Montag wiederholt unterbrochen.

Zuvor hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl berichtetk, Heer, Stahl und Sturm hätten
angesichts der Bestellung eines vierten Pflichtverteidigers Skepsis geäußert und geltend gemacht, das »Binnenverhältnis« zwischen den Verteidigern und der Angeklagten Zschäpe könne geschwächt werden. Rechtsanwalt Heer betonte jedoch am Montag: »Ich habe zu keinem Zeitpunkt einen vierten PV (Pflichtverteidiger) abgelehnt.« Er forderte den Richter auf, seine Zusammenfassung der Anwaltsgespräche schriftlich abzufassen und zur Einsicht zur Verfügung zu stellen.

Update 12.30 Uhr: Nebenkläger kritisieren Verzögerung des Prozesses als »unwürdig«
Das Gericht hat nach der Bitte der NSU-Anwälte, ihe Mandate niederzulegen, die Verhandlung am späten Vormittag für eine Mittagspause unterbrochen. Der weitere Fortgang war zunächst unklar. Nach Angaben der OLG-Sprecherin Andrea Titz ist für eine Entpflichtung auch dann eine detaillierte Begründung notwendig, wenn die Verteidiger diese selbst beantragen. Allein die kürzlich erfolgte Berufung Grasels zum weiteren Pflichtverteidiger reiche dabei nicht. Es wird erwartet, dass sich das Gericht gegen 13.00 Uhr mit einer Stellungnahme zu Wort meldet. Dabei muss es entscheiden, ob die Anwälte den NSU-Prozess verlassen dürfen. Das wiederum könnte das Verfahren zum Platzen bringen.

Mehrere Anwälte der Nebenklage kritisierte unterdessen, dass es »unwürdig« sei, dass der Prozess schon wieder wegen »Befindlichkeiten« Zschäpes ins Stocken gerate. Damit nehmen sie Bezug auf eine Erklärung Zschäpes, die vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl verlesen worden war. Darin fordert sie
eine neue Sitzordnung im Saal und verlangt, so platziert zu werden, dass sie »der Presse« nicht das Gesicht zuwenden muss, wenn sie sich mit Grasel bespricht. Ihr alter Anwalt Wolfgang Heer habe das abgelehnt. Das wies Heer seinerseits empört zurück. Detaillierte Gründe für ihre Anträge wollten Heer, Stahl und Sturm unter Hinweis auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht preisgeben.

Zschäpes Anwälte wollen Mandat niederlegen

Am Montag haben die drei bisherigen Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im NSU-Prozess - Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm - überraschend ihre Entbindung von ihren Pflichtmandaten beantragt. Er habe sich diesen Schritt »weidlich überlegt«, sagte Rechtsanwalt Heer. Er sei sich darüber im Klaren, dass der Prozess damit neu begonnen werden müsste. Das Gericht unterbrach die Verhandlung daraufhin. Unklar ist, ob damit die Fortführung des Prozesses gefährdet ist. Erst vor kurzem hatte das Gericht mit Mathias Grasel einen vierten Verteidiger bestellt.

Rechtsanwalt Heer verband seinen Antrag am 219. Verhandlungstag mit schweren Vorwürfen gegen das Gericht. Eine »optimale Verteidigung« sei nicht mehr möglich. »Ich habe Sie davor mehrfach gewarnt«, sagte Heer im Gerichtssaal. An den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl gewandt rief er zu seiner Warnung: »Die haben Sie in den Wind geschlagen«.

Zschäpe muss sich im NSU-Prozess für die zehn Morde verantworten, die die Bundesanwaltschaft dem »Nationalsozialistischen Untergrund« vorwirft. Der Prozess begann am 6. Mai 2013. dpa/nd

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