Entlassen wegen Gegenwehr

Palästinensische Arbeiter in der Westbank werden ausgebeutet / Gewerkschaftliche Organisierung ist schwer

  • Judith Poppe
  • Lesedauer: 5 Min.
Die israelische Gewerkschaft Ma'an unterstützt palästinensische Arbeiter in der Westbank. Einer von ihnen steht bald vor dem Arbeitsgericht, weil er gegen seine Kündigung geklagt hat.

Es ist ein kompliziertes Gelände, das Industriegebiet Mishor Adumim nahe der israelischen Siedlung Maale Adumim. Große Fabriken wie Soda Stream befinden sich dort, aber auch Betriebe wie die Autowerkstatt Zarfati Garage. Ein großer Teil der Arbeiter sind Palästinenser. Etwa 30 000 von ihnen arbeiten in israelischen Siedlungen in der Westbank - für die meisten Palästinenser kein leichter Schritt.

»Es ist absurd«, sagt Hatem Abu Ziade und schüttelt den Kopf, »obwohl ich als Palästinenser in der Siedlung weitaus weniger als jüdische Kollegen verdient habe, ist dies noch immer etwa das Doppelte von dem Lohn in Palästina.« Abu Ziade hat bis vor kurzem mit 45 palästinensischen Kollegen in Zarfati Garage gearbeitet. Er wollte die ungleiche Behandlung von jüdischen und palästinensischen Arbeitern nicht mehr mitmachen und stieß einen bisher einmaligen Organisierungsprozess an. Kurz darauf wurde er entlassen.

Nun sitzt er am Steuer eines gelben Sammeltaxis auf einem staubigen Parkplatz in Ramallah und zuckt mit den Schultern: »Nach 17 Jahren in ihrem Betrieb wurde ich entlassen. Erst aus technischen Gründen. Also haben wir gestreikt und sind vor Gericht gezogen.« Dort haben sie ihm plötzlich vorgeworfen, ein Auto des israelischen Militärs manipuliert zu haben. Ihm wurde daraufhin der Passierschein entzogen, ohne den er nicht zum Arbeitsplatz im C-Gebiet gelangen konnte. Einige Monate später wurden alle Vorwürfe fallengelassen, und Abu Ziade erhielt seinen Passierschein zurück. Dann allerdings, im Februar 2015, erhielt er eine offizielle Kündigung. Als Taxifahrer in Ramallah erhält der Vater von sechs Kindern zurzeit umgerechnet 15 Euro pro Tag - bei Lebenshaltungskosten, die in Palästina nur wenig niedriger sind als in Deutschland. Von guten Arbeitsbedingungen kann dort allerdings nicht die Rede sein.

Die Arbeitgeber nutzen die prekäre Situation aus, in der sich Männer wie Abu Ziade befinden. Kaum einer von ihnen hat einen regulären Arbeitsvertrag, keine Sozial- und Krankenversicherung, keinen bezahlten Urlaub, keine Arbeitskleidung. Hatem Abu Ziade begab sich auf die Suche nach einer Organisation, die ihm helfen könnte. Zunächst erfolglos: Palästinensische Gewerkschaften und Organisationen konnten nicht für ihn tätig werden, denn die Industriegebiete nahe der Siedlungen befinden sich auf israelisch kontrolliertem C-Gebiet. Anwälte waren zu teuer. Der israelische Gewerkschaftsdachverband Histadrut unternahm keinerlei Anstrengungen, für die Arbeiter tätig zu werden. Schließlich traf Abu Ziade 2013 auf die junge, israelische Gewerkschaft WAC/Ma’an (Workers' Advice Center), in der arabische und jüdische Israelis sowie Palästinenser zusammenarbeiten. Der Name spricht für sich, auf Hebräisch heißt er »Ansprechperson«, auf Arabisch bedeutet »Ma'an«: zusammen.

Der weißhaarige Generaldirektor der Gewerkschaft, Assaf Adiv, sitzt in seinem Büro im Süden Tel Avivs, holt Stift und Zettel heraus und veranschaulicht die politische Geografie der Westbank mit Skizzen: »Wir werden uns niemals in palästinensische Belange einmischen, etwa in den A- und B-Zonen. Aber solange die Situation ist, wie sie ist, füllen wir die Lücke, in denen es den palästinensischen Gewerkschaften unmöglich ist, für Palästinenser zu intervenieren - in den Siedlungen und in Ostjerusalem.« Mit den Oslo-Abkommen von 1993 und 1995 wurde die Westbank in drei Zonen aufgeteilt. Die A-Zonen stehen unter palästinensischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung, B-Zonen unter Zivil- und gemeinsamen Sicherheitsverwaltung und C-Zonen und israelischer Zivil- und Sicherheitsverwaltung.

Seit nunmehr zwei Jahren organisieren sich die Arbeiter von Zarfati Garage geschlossen mit der Unterstützung von Ma’an. Mit einer israelischen Gewerkschaft zusammenzuarbeiten, erfordert die Überwindung von Vorurteilen. »Ein ernsthaftes Hindernis aber war es nicht«, betont Adiv. Auch Abu Ziade schüttelt den Kopf: »Als wir bei Ma’an Mitglied werden wollten, habe ich mich mit einer Gewerkschaft in Jericho beraten. Sie haben uns in diesem Schritt unterstützt.« Allerdings ist das, was überall auf der Welt bei gewerkschaftlicher Organisierung schwierig ist - Misstrauen und Angst zu überwinden und Gemeinsamkeiten herzustellen - hier besonders schwer. »In den palästinensischen Gebieten herrschen extreme Armut und Arbeitslosigkeit«, erläutert Adiv: »Die Sicherheitskontrollen und die Tatsache, dass die Arbeitsmöglichkeit indirekt vom israelischen Militär abhängt, sorgen für große Angst vor Jobverlust. Denn um zum Arbeitsplatz zu gelangen, ist ein vom Militär ausgestellter Passierschein nötig.« Mit dem Scheitern der Osloer Abkommen sei außerdem das Vertrauen in politische Organisationen, NGOs, Gewerkschaften verloren gegangen.

Dass eine Organisierung überhaupt möglich ist, ist einem Urteil des Obersten Gerichtshofes von 2007 zu verdanken. Vorher galt für jüdische Arbeiter israelisches, für palästinensische Arbeiter in den Siedlungen jordanisches Recht - das bedeutete: keine Sozialleistungen und deutlich geringeren Lohn. Seit 2007 gelten nun zumindest offiziell in den Siedlungen für alle Arbeiter die gleichen, israelischen Rechte. In der Praxis aber wird das Urteil in vielen Fällen ignoriert; die Betriebe nutzen die prekären Bedingungen der palästinensischen Arbeiter aus und reagieren scharf auf Organisierungsversuche.

Hatem Abu Ziade erlebte dies mit seiner Entlassung aus erster Hand. Streiks von den Arbeitern wurden von der herbeigerufenen Polizei mit harter Hand verhindert. Gleichzeitig waren die Erfolge erstaunlich. Abu Ziade holt einen Stapel Abrechnungen aus einer Tasche neben seinem Fahrersitz hervor, um dies zu zeigen. Seitdem Ma’an zu Verhandlungen auf Zarfati Garage zuging, erhalten die Arbeiter ein Gehalt, das dem israelischen Mindestlohn von umgerechnet 1100 Euro im Monat entspricht, und es kommt bereits am 9. statt am 15. des Monats. Außerdem sind die Arbeiter nun arbeits- und unfallversichert. »Viele grundlegende, gesetzliche Ungerechtigkeiten können wir nicht unmittelbar beseitigen«, sagt Adiv: »Israelis müssen beispielsweise bis zum Mindestlohn keine Steuern zahlen, Palästinenser zahlen vom ersten Schekel Steuern an den israelischen Staat. Aber wir können dafür kämpfen, dass wenigstens die gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden.«

Für August wird ein Gerichtsurteil über die Rechtmäßigkeit der Entlassung erwartet: »Für uns ist dieses Urteil entscheidend. Vor allem, weil es die Weichen für die Organisierung der anderen 30 000 palästinensischen Arbeiter in den Siedlungen legen wird.« Abu Ziade nickt: »Natürlich werde ich zurückgehen, wenn mir das Gericht Recht gibt. Ich bin nicht bereit, diese Ungerechtigkeiten hinzunehmen.« Er zeigt sein sanftes Lächeln und startet das Taxi, um es von Ramallah zur Birzeit Universität und zurück zu fahren. Für 15 Euro am Tag.

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