Wie ein Harzer Junge die Wunder seiner Heimat weltbekannt machte

Vor 150 Jahren wurde der große Fotograf Karl Blossfeldt im Dörfchen Schielo in Sachsen-Anhalt geboren - dort und in München wird er derzeit geehrt

  • Uwe Kraus, Schielo
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Pflanzenaufnahmen des Karl Blossfeldt (1865-1932) wurden zu Meilensteinen der Fotografie. Die Anfänge liegen wohl im Selketal.

Zehn Kilometer Weg hatte Karl Blossfeldt täglich zu gehen, um von seinem Harzer Geburtsort Schielo ins Carlswerk Mägdesprung zu gehen, wo er nach der Schule in Harzgerode eine Lehre als Kunstmodelleur begann. An den Hängen des Selketals muss er sie entdeckt haben, die Urformen der Kunst aus dem »Wundergarten der Natur«, wie er eines seiner Bücher nannte: Farne, Kräuter, Blätter und Blumen. Mit höchster handwerklicher Kunst fotografierte er sie mit seiner Plattenkamera und machte mit seinen gestochen scharfen, ornamentalen Aufnahmen den Harz in der Welt bekannt. Harriett Watts, Vorsitzende des Quedlinburger Kunstvereins art-quitilinga, glaubt, dass Karl Blossfeldt (1865 bis 1932), »den Harz künstlerisch in die Welt brachte«.

In der Kunstwelt ist man sich einig: Blossfeldts Pflanzenfotografien zählten zu den Meilensteinen der Fotografie des 20. Jahrhunderts. Den Sohn einfacher Eltern - sein Vater war Gemeindediener, Bauer und Dorfkapellmeister - nennt man heute in einem Atemzug mit den Fotokünstlern Wilhelm Kahlo, Tina Modotti, Man Ray oder August Sander. Selbst in den Biologieunterricht haben es seine Arbeiten geschafft. Für Schüler sind Blossfeldts Fotografien oft eine begeisternde Begegnung mit Strukturprinzipien von Pflanzen, durch Isolierung, Vergrößerung und Belichtung ästhetisch herausgestellt.

Unterdessen schießen auf Auktionen die Gebote für Abzüge seiner legendären Pflanzenbilder durch die Decke. Aus Anlass der 150. Wiederkehr seines Geburtstages zeigt man im wenige Kilometer von Schielo entfernten Aschersleben bis zum April 2016 die Schau »Begegnung Karl Blossfeldt & Neo Rauch«. Das Aushängeschild der Neuen Leipziger Schule Neo Rauch war als Zwölfjähriger in Halberstadt auf den bis heute gefeierten Blossfeldt-Bildband »Urformen der Kunst« von 1928 gestoßen und ließ sich von dessen Natursicht inspirieren.

In der Münchner Pinakothek der Moderne ist Blossfeldts Kunst jetzt auch zu bewundern. Ab diesem Freitag ehrt die Stiftung Ann und Jürgen Wilde, die einen einzigartigen Bestand an originalen Blossfeldt-Fotografien, Negativen und Dokumenten beherbergt, den Harzer dort in einer Ausstellung. Rund 100 Fotografien, Arbeitscollagen, Dokumente, Korrespondenzen und Zeichnungen sind bis zum 25. Oktober zu sehen.

In Blossfeldts beschaulichem Geburtsort, heute Ortsteil von Harzgerode, ehrt der »Freundeskreis Karl Blossfeldt« um die Schieloer Künstlerin Sabine Müller den wohl bekanntesten Sohn des Dorfes ein paar Nummern kleiner. Mit Spenden aus dem Verein und der Nachbarschaft machten sie dem ehemaligen Einwohner ein Geburtstagsgeschenk: Mitten im Dorf stehen nun zwei vom Metallgestalter Felix Müller geschaffene Stahlfarne, inspiriert von einem bekannten Blossfeldt-Foto. Müller freut sich, dass es in der Heimatstube mitten im Ort seit zwei Jahren wenigstens eine »Blossfeldt-Ecke« gibt. »Als sichtbares Zeichen, dass er nicht vergessen ist, auch wenn die kommunale Finanzlage keine täglichen Öffnungszeiten ermöglicht.« Die Mitglieder des Freundeskreises überlegen, ob sie nicht einen kleinen botanisch-fotografischen Blossfeldt-Pfad anlegen. Von Schielo nach Mägdesprung erst einmal, nicht gleich bis Berlin oder München. Platten mit QR-Codes sollen dies und jenes erklären, etwa Blossfeldts Ausbildung zum Modelleur und Kunstgießer, seine Liebe zur Natur, die ihn wesentlich zu den Pflanzenfotos inspirierte. »Vielleicht beginnen wir aber im Herbst erst einmal mit einer Picknick-Tour zu Fuß oder mit einem Pferdewagen«, meint Müller.

Die Münchner Pinakothek wiederum möchte im Sinne Blossfeldts den Sinn für die Natur neu wecken und ruft dazu auf, Fotografien von Pflanzen mit dem Hashtag PlantsForBlossfeldt in den sozialen Medien zu teilen. »Am Ende haben wir vielleicht zusammen einen neuen ›Wundergarten der Natur‹ gepflanzt«, hoffen die Ausstellungsmacher.

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