Tsipras zwischen Gläubigern und »Abweichlern«
Die Regierungspartei SYRIZA bleibt auch bei der Abstimmung des zweiten Reformpakets gespalten / Premier Tsipras verteidigt Maßnahmen als notwendig
Es hat noch länger gedauert als vor einer Woche, doch von Beginn der Parlamentsdebatte in Athen war klar, dass die Mehrheit für die von der Tsipras-Regierung eingebrachten Reformen ungefährdet war. Am frühen Donnerstagmorgen hatte Griechenland mit der Zustimmung zu den Gesetzesänderungen im Justizsystem und im Bankenwesen die letzten Auflagen der Gläubiger für die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Kreditprogramm erfüllt. 230 von 298 anwesenden Abgeordneten (von insgesamt 300) stimmten mit Ja, darunter viele aus den Reihen der Opposition. Ministerpräsident Alexis Tsipras verfehlte erneut die Regierungsmehrheit. Immerhin war die Zahl der SYRIZA-Politiker, die gegen ihren Premier stimmten, jedoch geringer als vergangenen Mittwoch. Statt 39 fehlten diesmal 36 Stimmen aus der Regierungspartei. Einer, der nun mit Ja votierte, war Exfinanzminister Yanis Varoufakis. Um den Premier zu unterstützen, stimmte Varoufakis dem zweiten Reformpaket mit mehr als 900 Seiten zu. Es sieht im Justizbereich vor, dass Kreditnehmer künftig ihre Wohnungen verlieren können, wenn sie mit Zins- und Tilgungsraten an die Banken in Verzug geraten. Das Bankengesetz wiederum soll Spareinlagen bis 100 000 Euro sichern; dafür sollen sich Sparer mit Guthaben über 100 000 Euro ebenso wie die Aktionäre an der Rekapitalisierung maroder Banken beteiligen.
Die wahlweise als »Abweichler«, oder »Drachmisten« titulierten Nein-Sager und jene, die sich enthielten, stammen nicht nur aus der SYRIZA-Strömung Linke Plattform. Eine Handvoll Abgeordneter ist Mitglied der Kommunistischen Organisation KOE, der Internationalen Arbeiterlinke DEA sowie der »Gruppe der 53« - ein Kreis einflussreicher und langjähriger SYRIZA-Mitglieder, dem unter anderen der neue Finanzminister Efklidis Tsakalotos angehört.
Die griechische Presse sah die linke Regierungspartei am Donnerstag in Problemen. »Ganz nah an einer Spaltung«, titelte die konservative Zeitung »Kathimerini«. »Der Spalt bleibt«, schrieb die linke Zeitung »I Efimerída ton Syntaktón«. Die Boulevardzeitung »Ethnos« spielte mit dem Namen der größten Gruppe der innerparteilichen Opposition und schrieb von der »Plattform der Scheidung«.
Regierungssprecherin Olga Gerovassili räumte ein, dass die Spaltung innerhalb des Regierungsbündnisses unübersehbar sei. Die Spekulationen über vorgezogene Parlamentswahlen hielten auch wegen der Ankündigung von Fraktionssprecher Nikos Filis an. Er sagte vor der Abstimmung, wenn nicht 120 Stimmen aus den eigenen Reihen zusammenkämen, müsse es Neuwahlen geben. Hinter dem Kurs von Tsipras standen in der Nacht zu Donnerstag nur 113 SYRIZA-Abgeordnete. Rufe nach einem Sonderparteitag wurden in den vergangenen Tagen lauter. Die linke Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou nannte das neue Sparprogramm einen »Putsch«, der gestoppt werden müsse. Sie blieb jedoch auch nach einem Gespräch bei Tsipras am Donnerstagmittag im Amt.
Wie der Premier weiter vorgeht, wird von den anstehenden Gremien-Sitzungen in seiner Partei abhängen. Seinen Posten will Tsipras jedoch nicht einfach aufgeben, dies unterstrich er in der Parlamentsdebatte. Die »Bastion« der linken Regierung werde er »nicht freiwillig« räumen.
Tsipras verteidigte die nun beschlossenen Reformen als notwendig. Er werde aber weiter dafür kämpfen, möglichst günstige Bedingungen für Griechenland auszuhandeln. »Wir werden keine Feiglinge sein. Wir werden die Kämpfe, die vor uns liegen, mit Entschlossenheit führen«, sagte Tsipras. Gleichzeitig rief er die Abgeordneten dazu auf, sich den »neuen Realitäten« anzupassen. »Der schmerzhafte Weg hört hier leider noch nicht auf«, sagte Tsipras.
Während der Parlamentsdebatte hatten sich am Mittwochabend etwa 6000 Gegner der Sparpolitik im Zentrum von Athen versammelt. Die Polizei riegelte den Sitz der Volksvertretung ab, nachdem es in der vergangenen Woche bei einer Demonstration Auseinandersetzungen gegeben hatte. Nun blieb es weitgehend ruhig.
Dies könnte sich bald wieder ändern. An diesem Freitag wird die Troika zurück in Athen erwartet. Gleichzeitig sind die Parteivorsitzenden beim Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos eingeladen. Anlass ist jedoch keine Krisensitzung, sondern der 41. Jahrestag des Endes der Militärdiktatur 1974. Mit Agenturen
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