Auf dem Weg zu Roma-Sonderlagern
Stimmungsmache gegen Flüchtlinge spitzt sich zu
In der Asyldebatte wird der Ton bedrohlich. An Terrain gewinnen etwa Forderungen nach einer Sonderbehandlung von Asylbewerbern aus dem westlichen Balkan. Die Integrationsbeauftragte des Bundes, Aydan Özoguz, hat sich für eine Separierung dieser Gruppe in speziellen Einrichtungen offen gezeigt, wie sie etwa Bayern plant. »Das ist durchaus eine Idee«, so die SPD-Politikerin im rbb-Inforadio. Man müsse »ehrlich« mit diesen Asylbewerbern umgehen.
Sonderlager für Westbalkan-Flüchtlinge - weit überwiegend Sinti und Roma - seien »abgestimmt« und Gegenstand des Flüchtlingsgipfels vom 18. Juni gewesen, so das Innenministerium gegenüber der Agentur AFP. Am Mittwoch hatte das dem Ministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der »Wirtschaftswoche« bestätigt, an »Ideenfindung und Abstimmung« dieses »Maßnahmenpakets beteiligt« gewesen zu sein.
Für Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat sind diese Pläne skandalös. »Das sind die Nachfahren der Opfer des Nationalsozialismus. Deutschland kann es sich nicht erlauben, sie in ein Abschiebelager zu stecken.« Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) lehnt solche Lager ab. Am Mittwoch hatte sich SPD-Generalin Yasmin Fahimi dagegen verwahrt.
Nach einem Bericht im Deutschlandfunk vom Donnerstag hat zudem BAMF-Chef Manfred Schmidt seinen Vorstoß erneuert, Flüchtlingen aus diesen Staaten im pauschalen Vorgriff auf das unterstellte Ergebnis des rechtsstaatlichen Asylverfahrens das »Taschengeld« von monatlich 140 Euro zu streichen oder zu kürzen.
Welche Stimmungen eine solche »Debatte« aufgreift und fördert, erlebt dieser Tage Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn (LINKE). Nachdem er vorgeschlagen hatte, die nach dem Karlsruher Urteil zum Betreuungsgeld frei werdenden Mittel für die Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aufzuwenden, sieht er sich massiven Beschimpfungen ausgesetzt - bis hin zu drastischen Gewaltfantasien.
Wie irrational Debatten und Politiken mit Flüchtlingsbezug sein können, zeigt derweil eine im Fachorgan »PLOS ONE« veröffentlichte Studie zur Gesundheitsversorgung. Würde Flüchtlingen sofort und nicht erst nach 15 Monaten der Zugang zur Regelversorgung geöffnet, sänken die Kosten - entgegen landläufiger Meinungen - wohl erheblich. In der Zeit ohne Regelversorgung lägen die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben um 40 Prozent über den Kosten bei Asylsuchenden, die Anspruch auf Normalversorgung haben. »Umfassende präventive Maßnahmen sind in der Regel nicht Teil des Leistungspakets nach dem Asylbewerberleistungsgesetz«, erklärt dies der Forscher Kayvan Bozorgmehr vom Uniklinikum Heidelberg gegenüber »nd«. Es finde »überwiegend eine kurative Behandlung statt, die meist erst einsetzt, wenn Erkrankungen akut werden«. Dies sei in der Regel teurer - zumal Akutbehandlungen oft in Kliniken stattfänden.
Unterdessen spitzt sich die Situation auch in südöstlichen EU-Staaten wie Ungarn weiter zu - und strebt die EU laut dem ARD-Magazin »Monitor« Kooperationen mit autoritären Regimes in Afrika an, um Fluchtbewegungen zu ersticken, etwa mit Eritrea. Der LINKE-Außenexperte Stefan Liebich kritisierte dies scharf. Seiten 3, 5, 6 und 11
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.