Beitragsfreie Kindergärten
Finanzminister Görke belebt die Debatte um Bildung und soziale Gerechtigkeit
Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Herdprämie für rechtswidrig erklärte, hat Finanzminister Christian Görke (LINKE) laut über ein beitragsfreies Kitajahr nachgedacht. Die freiwerdenden Mittel - für Brandenburg wären es 27 Millionen Euro jährlich - könnten doch dazu verwendet werden, dass die Eltern im letzten Jahr vor der Einschulung nichts dazuzahlen müssen.
Damit hat Görke die Debatte über generell beitragsfreie Kitas neu belebt. Bereits am 10. Juni hatte die Landtagsabgeordnete Gerrit Große (LINKE) im »nd« geschrieben, ihre Partei sei »ausgehend vom Recht auf Bildung politisch für die Beitragsfreiheit«. Die LINKE prüfe, »inwiefern eine Regelung, wie sie in Berlin für drei Kitajahre existiert und wie sie in Thüringen angestrebt wird, finanziert werden kann«.
Damit handelte sich Große intern Kritik ein. In der Partei sind die Ansichten nicht einhellig. Die Frage ist, ob und wann sich Brandenburg das leisten könne und ob andere Dinge nicht vordringlicher sind. So verweist Großes Fraktionskollege Matthias Loehr auf die soziale Staffelung der Elternbeiträge. »Ein Wegfall dieser Kofinanzierung würde in erster Linie die Besserverdienenden entlasten, zum Beispiel mich als Landtagsabgeordneten«, merkt er an. Aber Loehr sieht auch, dass Kitas Bildungsstätten sind, die ebenso wie Schulen und Universitäten »vom Grunde her« beitragsfrei sein sollten, so dass er nicht eindeutig Ja oder Nein sagen kann zu einer aktuelle Petition für beitragsfreie Kitas in Brandenburg.
Dagegen spricht sich Potsdams LINKE-Kreisvorsitzender Sascha Krämer klar für die Beitragsfreiheit aus. Alle Kinder sollten gleich behandelt werden, findet er. Für soziale Gerechtigkeit müsste seiner Ansicht nach über Steuern gesorgt werden.
Bis Dienstag wurde die Petition, die jetzt noch 50 Tage läuft, von 12 424 Einwohnern online unterzeichnet. In der Petition heißt es: »Kinderbetreuung ist im Land Brandenburg ein teures Gut. Landein landaus klagen die Eltern über die steigenden Kosten für die frühkindliche Betreuung ihrer Kinder.« Vielerorts seien die Elternbeiträge für die Kitas ein Auswahlkriterium für oder gegen eine Familie. Das sei ein untragbarer Zustand.
Bereits 2007 gab es eine Diskussion, als gemeldet wurde, die Stadt Spremberg schaffe als erste Kommune Brandenburgs die Elternbeiträge für das letzte Kitajahr vor der Einschulung ab. In Berlin hat die Beitragsfreiheit, die durch eine rot-rote Koalition schrittweise zwischen 2007 und 2011 eingeführt wurde, den Effekt, dass keine finanzielle Hürde für Kinder aus Einwandererfamilien mehr besteht, im Kindergarten Deutsch zu lernen. In Brandenburg besuchen aber jetzt schon fast alle Kleinen eine Kita.
Die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, ihrer Partei seien kleinere Gruppen im Zweifel wichtiger als die Beitragsfreiheit. »Von einer Gebührenfreiheit würden vor allem Besserverdienende profitieren, da Einkommensschwächere ohnehin keine oder nur geringe Kitagebühren zahlen«, sagte sie.
Auch Bildungsminister Günter Baaske (SPD) hält gebührenfreie Kitas nicht für vorrangig. Er argumentierte ähnlich wie Baerbock: »Eltern, die aus sozialen Gründen schon heute weitgehend von Beiträgen befreit sind, hätten kaum etwas davon.« SPD-Fraktionschef Klaus Ness rechnete vor, 2008 habe das Land Brandenburg die Kitabetreuung mit 137 Millionen Euro gefördert. Heute gebe es 262 Millionen und in den nächsten drei Jahren steige die Förderung auf mehr als 330 Millionen, weil die Zahl der Kitakinder pro Erzieherin noch einmal verkleinert werden soll. »Wie jeder Privathaushalt kann auch das Land Brandenburg jeden Euro nur einmal ausgeben«, bedauerte Ness. Eine Streichung aller Elternbeiträge müsste daher mit einer Verschlechterung des Betreuungsschlüssels einhergehen. »Das kann nicht unser Ziel sein«.
Ein beitragsfreies Kitajahr würde nach Hochrechnungen des Bildungsministeriums etwa 20 Millionen Euro jährlich kosten. Für die komplett beitragsfreie Kita wären es fast 70 Millionen, die Schulhorte mitgerechnet sogar 165 Millionen.
Der Landtagsabgeordnete Gordon Hoffmann (CDU) warf Finanzminister Görke vor, dieser wolle »seine Versprechungen wieder einmal aus Bundesmitteln bezahlen«. Richtig sei aber, dass sich die Politik Gedanken machen müsse, wie sie Familien mit Kindern besser fördert. Die CDU verlange das beitragsfreie letzte Kitajahr bereits seit 2009, sagte Hoffmann. Vom Finanzminister erwarte er, dass dieser »eine seriöse und dauerhafte Finanzierung für seine Ankündigung vorlegt«.
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