Stopp! Das berührt die Kernfrage ...

BND-Bundestagsuntersuchungsausschuss dümpelt dahin zwischen Vertuschen und Ermitteln

Es ist wie immer, wenn man sich Unglück ersparen will. Da lässt man die 13. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses aus - und wird prompt auf der 14. Sitzung auch nicht viel schlauer. Man ist ja »nur« Öffentlichkeit.

Derzeit geht es noch immer um den Fall des deutschen Staatsbürgers EI Masri. Der war dummerweise nach Mazedonien gereist und dort nahmen ihn die mazedonischen Behörden fest, überstellten ihn USA-Behörden, die verschleppten ihn in einen geheimen Kerker nach Afghanistan und ließen ihn erst wieder frei, nachdem sie sich in monatelangen Folterverhören davon überzeugt hatten, dass der Rechtlose mit Terroranschlägen so viel zu tun hat wie ein Frosch mit Segelfliegen.
Am Donnerstag vergangener Woche ging es um Zeugenvernehmungen »gemäß Beweisbeschluss 16-83, 16-84, 16-117, 16-139 und 16-130«. So langweilig ließ sich das Ganze auch an. Der Vorsitzende des Ausschusses, Unionsmann Kauder, erbat vor dem Auftritt jedes Zeugen kompletten Namen sowie eine »ladungsfähige Anschrift«, an die man ihnen ihre mitstenografierten Aussagen zwecks Durchsicht und eventueller Änderung schicken könne. Dann belehrte der Chefbefrager die Zeugen: Wer lügt, könne mit einer Freiheitsstrafe von ein paar Monaten oder gar Jahren belegt werden. Für die nüchterne Atmosphäre im Europa-Saal des Bundestages spricht, dass keiner der Anwesenden bei dieser ritualisierten Passage in Gelächter ausbrach.
Wie auch, niemand im Saal nahm beispielsweise an, dass der Zeuge Johannes Konrad Haindl, Balkanexperte des Auswärtigen Amtes, etwa die Unwahrheit sagt. Nur mit der Erinnerung, das wissen wir alle, ist das so eine Sache. Der damalige Referatschef hatte einen starken Verbündeten hinter sich. Die Bundesregierung, die - obwohl es Schwarz-Rot doch relativ egal sein könnte, was sich Rot-Grün so geleistet hat - mit einer 30-köpfigen Aufpassertruppe, zusammengesetzt aus Beamten betroffener Ministerien und Dienststellen, vertreten ist.
Haindl hat so manche Kenntnis über so manchen Vorgang, doch öffentlich muss er nur das preisgeben, was die Öffentlichkeit eigentlich vor allem dank journalistischer Kleinarbeit bereits weiß. Was er in manche E-Mails geschrieben oder auch in manchen E-Mails gelesen hat, durfte er nur bestätigen, wenn die Öffentlichkeit den Europasaal verlassen hatte. Den Auszug erwirkte einer der Regierungseinflüsterer, der mit einer Stimme, als täte es ihm ehrlich leid, mitteilte, dass die Bundesregierung sich auch nach wochenlangem Ausschuss-Antrag leider noch nicht in der Lage sehe, die VS-NfD-gekennzeichneten Dokumente »runterzustufen«. So bleibt einem für die Öffentlichkeit Reportierenden nur mit den Worten Haindls festzustellen, dass das Auswärtige Amt im Fall EI Masri im Grunde »abgewartet hat, in welche Richtung sich die Sache entwickelt«.
Und dabei ist es bis heute geblieben. Bleibt die Frage nach den politischen Konsequenzen, die im Auswärtigen Amt aus dem Fall zu ziehen wären. Nicht nur aus der Vernehmung des Diplomaten Haindl, der heute in Washington arbeitet, ist zu entnehmen: Es gibt keine Konsequenzen! Mehrmals haben die Ausschussmitglieder Petra Pau und Jan Korte danach gefragt. Beide - der Begriff sei erlaubt, weil zutreffend - schinden sich für die Linksfraktion im U-Ausschuss. Und beiden wurde mehrmals bestätigt, dass man sich im Auswärtigen Amt weder auf Leitungs- noch auf Arbeitsebene grundsätzliche Gedanken darüber gemacht hat, wie Deutschland reagieren muss, wenn die USA ihre »Rendition«-Praxis, also die kriminelle Unart des Kidnapping, weiter »kultivieren«. Schlussfolgerung: Verlässt man sich als deutscher Staatsbürger auf die Bürger- und Menschenrechte sowie seine Regierung, ist man verlassen.
Wer derlei oder andere kritische Anmerkungen wider die Regierungsarbeit machte, kam nicht selten in den »Genuss« eines Dialoges mit dem CDU-Ausschussvorsitzenden. Bisweilen hatte man dabei den Eindruck, er sei der 31. Mann auf der Regierungsbank. Möglich, dass der Eindruck täuscht, doch um das zu beweisen, hat Kauder ja noch viele Sitzungen Gelegenheit. Es sei denn, die Gerüchte stimmen und die Unions-SPD-Mehrheit will den Ausschuss bis zum Jahresende zur Geschichte »erheben«. Was schwer vorstellbar ist. Denn noch immer werden den Abgeordneten Unterlagen vorenthalten. Beispielsweise weiß man nichts über die Zeit vor der Entführung des Deutsch-Libanesen EI Masri.
Wohl aber kennt man Gerüchte. Er soll sich bei deutschen Verfassungsschutzbehörden verdächtig gemacht haben, weil er in Neu-Ulm einen Multi-Kulti-Klub besuchte. Seltsam, dass die Bundesregierung ebenso wie die Akten klemmenden bayerischen Stellen das Gerücht nicht ausräumen wollen, man habe EI Masri quasi an die US-Geheimdienstler verkauft.

Doch darüber konnte Zeuge Haindl nichts aussagen - nicht einmal, als die Öffentlichkeit wieder draußen vor den Türen war und zuschauen durfte, wie Ausflugsdampfer die Spree hoch- und runterfuhren oder wie Amateurmodells sich vor der Bundestagskulisse und Kameraobjektiven verrenkten.

Auch der nächste Zeuge, ein Herr Karl Flittner, wird vom Außenministerium bezahlt. Er hatte in der betreffenden Zeit das Fachreferat 506, das sich mit Strafrechtspflege in auswärtigen Beziehungen zu befassen hätte, unter sich. Auch er erfuhr erst nach der Freilassung EI Masris davon, dass da etwas - so wörtlich - »Abenteuerliches« abgelaufen sein könnte. Flittner sprach von einer »unglaublichen Geschichte« und räumte ein, dass das, was EI Masris Anwalt an den damaligen Außenminister Fischer und an Schröders Bundeskanzleramt geschrieben hatte, im Verlaufe vieler regierungsuntätiger Wochen immer glaubhafter wurde. Jedenfalls nach dem, was er in den Medien so erfahren hat. Denn wirklich wissen konnte auch er nichts, sagt er. Und überhaupt, so bestätigten alle »Auswärtigen«, sei man immer davon ausgegangen, dass sich das Kanzleramt in der diffizilen Sache den Hut aufgesetzt habe. Schließlich ging es doch um »solche Dienste«, und alles, was die so geheim anstellen, sei nun einmal da angesiedelt. Volltreffer? Möglich, denn der damalige Chef des Kanzleramtes hieß Steinmeier, er ist als Außenminister heute der Chef von Flittner und Haindl. Noch vor dem Winter, so ließen Ausschussmitglieder durchblicken, werden Steinmeier und sein Vorgänger Fischer wohl im Europa-Saal »antanzen« müssen.
Auch hinter dem Beamten Flittner schlossen sich für die Öffentlichkeit die Türen. Dahinter sollte er begründen, warum er die deutsche Botschaft in Washington gebeten hat, die Nachfrage bei den US-Verbündeten im Fall EI Masri nicht allzu forsch voranzutreiben. Da erinnerten wir uns: Flittner hatte öffentlich gemacht, dass er alle E-Mails, die er in die Welt gesandt hat, »zuerst mit oben« abgesprochen hat. Naja, die da oben ...
Wie kann man »oben« im Auswärtigen Amt auch wissen, dass man der mazedonischen Regierung ein Rechtshilfeersuchen in mazedonischer und nicht in serbischer Sprache überreichen muss?! Dummerweise ergaben sich so Verzögerungen.
Apropos abgesprochen. Abgesprochen soll gewesen sein, dass der Fall EI Masri auf den Tisch kommt, wenn sich der deutsche Kanzler Schröder mit seinem mazedonischen Kollegen trifft. So geschehen am 8. Juni 2005. Und? Irgendwer soll empfohlen haben, es dennoch nicht zu servieren.
Halt, Stopp, meldete sich da die Regierungsbank. Ein Dr. Berger konnte sich ad hoc des »Eindrucks« nicht erwehren, dass es sich dabei »um eine Frage handelt, die den Kernbereich betrifft«. Wohl wahr, pflichtete ihm Fragesteller Korte bei. Ob Flittner im geheimen Kreis gesagt hat, wer ihn zu der Empfehlung einer Nichtbehandlung angestiftet hat? Aber vermutlich ist auch das nur so ein Gerücht. So wie jenes, das der Grünen-Abgeordnete Ströbele sich von Flittner bestätigen ließ. Nämlich, dass es nicht nur ein einziges Gespräch zwischen dem damaligen Bundesinnenminister Schily (SPD) und dem damaligen USA-Botschafter in Berlin gegeben hat. Flittner weiß von weiteren und auch, woher sein Wissen stammt. Aus dem Bundeskanzleramt.

Draußen vor der Tür leerte eine Putzfrau Aschenbecher, Servierpersonal schaffte Kaffeenachschub heran, ein Mitglied der SPD-Delegation holte Gummibärchen fürs Ausschuss-Kollektiv, TV-Techniker lümmelten auf Bänken. Manch einer las auch Zeitung, was nicht schaden kann, oft steht da mehr drin, als die Regierung zugibt.

Im Gegensatz zu den meisten Behörden, die sich um Aufklärung im Fall EI Masri bemühen, leiden viele Medien nicht unter »Beißhemmungen«. Den bei der Opposition im Ausschuss gängigen Begriff übrigens lehnte Flittner leicht pikiert ab, schließlich sei er Mitglied in einem Verein zum Schutze der deutschen Sprache - oder so.
Kaum war die Mittagsstunde überschritten, saß Detlev Konrad Adelmann auf dem Zeugenstuhl. In der Uniform eines Bundeswehr-Oberstleutnants. Er war im afghanischen Bagram deutscher Verbindungsoffizier zur USA-geführten Operation »Enduring Freedom«. Das Bundeskriminalamt hatte seinen Namen ins Spiel gebracht, weil er angeblich den Kontakt hergestellt habe zwischen Ermittlern des Amtes und den USA-Behörden, die auf der Air-Base Bagram ein Gefängnis unterhielten, in dem EI Masri möglicherweise gefoltert worden sein könnte. Obwohl Adelmanns Name - verbunden mit einer falschen Dienstbezeichnung - in den vertraulichen BKA-Akten auftaucht, betont der Militär, dass er niemals Kontakt mit einem BKA-Mann hatte. Lediglich jemand aus der Botschaft in Kabul habe sich telefonisch bei ihm gemeldet und dem habe er eine Nummer gegeben, die zum Chefaufseher des US-Kerkers geführt haben müsse.
Wie auch immer, der KSK-Offizier war zwar entgegenkommend, doch konnte er keine zweckdienlichen Angaben machen, was in der »zehn bis fünfzehn Meter hohen« Halle neben der Start- und Landebahn ablief. Auch ein anderes US-Gefängnis habe er nie betreten.
Vielleicht weil er immer nur an einer der wichtigsten Folterstätten vorbeigefahren ist? So wie die FDP-Fraktionsexperten haben sich auch Leute aus der Linksfraktion genauer angeschaut, in welcher Weise sich EI Masris Aussagen über sein Martyrium und die örtlichen Gegebenheiten im Umkreis von Kabul decken können. Der Oberstleutnant hatte kaum Schwierigkeiten, die ihm als Satellitenfotos vorgelegten Teile Afghanistans zu identifizieren. Die Straße zwischen Kabul und Bagram sei er »bestimmt 110 mal« gefahren. Hätte er an einer Wegegabelung nur einmal den Blinker falsch gesetzt, hätte er nach nur gut drei Kilometern vor einem Ort, den USA-Geheimdienstler »Salzgrube« nennen, gestanden. Jan Korte legte die Bilder sehr zum Unwillen des Ausschussvorsitzenden auf den Tisch. Bei der Ortslage könnte alles passen, was EI Masri zu Protokoll gegeben hat. Er hörte das Anfluggeräusch von Flugzeugen, einen Muezzin, womöglich Lärm von einem Sportplatz ... Zugegeben, Paus und Kortes »Ermittler« können sich irren, doch sie haben mehr herausgefunden als das BKA (sollte?).
Der Donnerstagnachmittag hielt noch zwei Zeugen bereit. »Beweisbeschluss 16-139« war ein Oberleutnant Wurster aus Calw. Er ist Sicherheitsbeauftragter der top-geheimen KSK-Elitetruppe, die unter USA-Befehl bereits mehrmals in Afghanistan gekämpft hat. Er musste indirekt bestätigen, dass seine Vorgesetzten im Bundesverteidigungsministerium eine so genannte Erkenntnisanfrage des Polizeipräsidiums Schwaben, das im Fall EI Masri ermitteln sollte und wollte, monatelang in Schreibtischschubladen schmoren ließ. Dem Oberleutnant folgte 16-130, ein Mann namens Reiner Grünhaus. Ob der wirklich so heißt? Er ist Mitarbeiter des BND und was er als solcher zu sagen hatte, war ohnehin nicht-öffentlich.

Vor den große Transparenz andeutenden Fenstern des Verhandlungssaales schwamm die MS »Pelikan« an diesem Tag zum fünften Mal vorbei. Im Saal freuten sich Abgeordnete wie Mitarbeiter, dass der Ausschuss ein wenig pausiert. Herbstfer...

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