»Man sollte generell keine Stabilität anstreben, in der Menschen unterdrückt werden«
Fagr Eladly über ihre Aktion gegen den ägyptischen Präsidenten in Berlin und die Lage in Ägypten
Fagr Eladly gehört zu den wenigen Menschen, die in der Öffentlichkeit ihr Haupt gegen den ägyptischen Diktator Abd al-Fattah al-Sisi erhoben haben. Die Deutsch-Ägypterin sorgte für Schlagzeilen, nachdem sie al-Sisi während seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel im Bundeskanzleramt lautstark unter anderem als »Faschisten« und »Mörder« bezeichnete. Im Gespräch mit Emran Feroz spricht die Medizinstudentin und freie Journalistin über ihre Aktion, die deutsch-ägyptischen Beziehungen und die Lage in ihrem Heimatland.
Warum haben Sie an der Pressekonferenz teilgenommen und wie kam es letztendlich zu Ihrer Aktion?
Ich habe als akkreditierte Journalisten an der Pressekonferenz teilgenommen und wollte zwei Fragen stellen. Anfangs habe ich das Ganze aufmerksam verfolgt. Nach etwa einer Stunde habe ich mich laut gemeldet und wollte wissen, ob ich denn nun meine Fragen stellen dürfe. Ich wendete mich direkt an Frau Merkel, die wies mich freundlich darauf hin, dass der Ablauf der Konferenz seine Ordnung habe, die jeder Teilnehmer befolgen muss. Dann meinte Frau Wirtz, die stellvertretende Regierungssprecherin, dass die Fragerunde schon abgeschlossen sei - und das nur nach zwei Fragen. Als ich gemerkt habe, dass niemand auf mich einging, wurde ich eben lauter.
Kurze Zeit später war der Al-Jazeera-Journalist Ahmed Mansour, der mehrere Tage lang von der deutschen Polizei festgehalten wurde, ebenfalls auf einer Bundespressekonferenz präsent. Er nahm quasi den Platz von al-Sisi ein und stellte sich nach seiner Freilassung den Fragen der Presse. Was denken Sie über den Fall Mansour?
Ich kann bis heute immer noch nicht verstehen, wie es zu dieser Festnahme gekommen ist. Vor allem wenn man bedenkt, dass selbst Interpol auf die politischen Motive bezüglich des ägyptischen Haftbefehls verwies. Die ganze Aktion ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Mich hat das Handeln Deutschlands entsetzt, wo doch sehr klar ist, was für eine Menschenrechtslage zur Zeit in Ägypten herrscht.
Kritiker werfen Mansour Parteilichkeit vor, so pflege er zum Beispiel Kontakte zur Muslimbruderschaft. Anfangs standen teils ähnliche Vorwürfe bezüglich Ihrer Person im Raum. Wie sind Sie damit umgegangen?
Die wenigsten Menschen denken differenziert. Natürlich versuchen meine Kritiker, mich in diese Schublade zu stecken. Dabei ist es doch etwas völlig Normales, auf Missstände aufmerksam zu machen, ohne dabei unbedingt Unterstützer von dieser oder jener Partei, in diesem Fall der Muslimbruderschaft, sein zu müssen. Ich habe ja damals selbst an den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Ägypten teilgenommen. Für Mursi habe ich nur im zweiten Wahlgang gewählt, weil die Alternative Ahmed Shafiq, ein Vertreter des Mubarak-Regimes, gewesen wäre. Mit den Muslimbrüdern habe ich keine Verbindung und wie gesagt, man muss absolut kein Anhänger von ihnen sein, um den ägyptischen Unrechtsstaat zu kritisieren.
Was halten Sie von der deutsch-ägyptischen Zusammenarbeit im Allgemeinen?
Das ist einfach skandalös. Die Prinzipien, die wir im Grundgesetz haben, die wir stets predigen und für die Deutschland unter anderem auch in den Krieg gezogen ist, zum Beispiel in Afghanistan, scheinen überhaupt keinen Wert zu haben, wenn zum gleichen Zeitpunkt ein Diktator wie al-Sisi und sein Unrechtsregime dermaßen unterstützt und legitimiert wird. Die deutsche Außenpolitik muss sich ändern, und zwar indem sie werteorientiert stattfindet und sich an Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientiert. Auch dieses vermeintliche Argument der angeblich ersehnten Stabilität in bestimmten Regionen ist nicht ernst zu nehmen. Langfristig ist in Ägypten keine Stabilität zu erwarten. Das werden die nächsten Jahre zeigen und das hat auch schon die Vergangenheit gezeigt. Repression und Unterdrückung seitens eines Militärregimes werden nie die Lösung sein. Auch gegenwärtig ist alles sehr riskant und fragil. Man sollte generell keine Stabilität anstreben, in der Menschen unterdrückt werden.
Was hat der Sisi-Vorfall für Auswirkungen für Sie als Ägypterin?
Mittlerweile habe ich erfahren, dass ein bekannter Anwalt eine Klage gegen mich erhoben hat, um mir die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Das war zu erwarten. Nun versucht das Regime sich zu rächen und zeigt, dass es keinerlei Kritik verträgt. Das ist nur eine Bestätigung, was für ein totalitärer Staat Ägypten geworden ist. Inwiefern das in die Wege geleitet und was in den nächsten Monaten tatsächlich passieren wird, kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht vohersagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.