Computer sind auch nur Menschen
An diesem Wochenende startet nach umfassendem Vorlauf das Online-Ordnungsamt
Gemächlich umrundet sie das Auto. Offenbar findet die Frau in dunkelblau an diesem am Ostbahnhof abgestellten Gefährt aber nicht, wonach sie sucht. Konzentriert guckt sie nun auf das Kennzeichen, bereit zum Eintippen in das Datenspeichergerät. Da eilt plötzlich ein Mann herbei und brüllt ihr, ein kleines Stück Papier durch die Luft wedelnd, bedrohlich wütend entgegen: »Ich hab mir doch gerade eben einen Parkschein geholt!« Die Dame weicht nicht zurück, sie scheint an solche Situationen gewöhnt. Mit beschwichtigender Geste teilt sie dem aufgebrachten Herrn mit, dass er kein Knöllchen zu befürchten hat.
Eine alltäglich sich wiederholende Szene auf Berliner Parkplätzen. Das Ordnungsamt ist bei vielen Menschen nicht sonderlich beliebt. Sie verbinden mit ihm eine ausgeprägte Spaßfeindlichkeit und eine fanatische Ordnungsliebe, die den klammen Kommunen auch noch über die Runden helfen sollen. Wer die Arbeit des Amtes gut findet und hin und wieder den Nachbarn wegen seiner lärmenden Kinder oder aufgrund des Bauschutts vor der Tür bei den Behörden verpfeift, gibt dies nicht gerne zu.
Ab sofort können solche Leute sich auch über das Internet beschweren. An diesem Samstag startet berlinweit das Online-Ordnungsamt. Allen Bezirksämtern wird ein IT-System zur Verfügung gestellt, das nach den Worten eines Sprechers der Innenverwaltung den »Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu den Dienstleistungen der Verwaltung erleichtern und Verwaltungshandeln transparent gestalten« soll. Sie können »Meldungen über Störungen im öffentlichen Raum« über das Portal »berlin.de« an die zuständigen Bezirke melden.
Das digitale Amt ist Teil des Modernisierungsprogramms »Service- Stadt Berlin«, mit dem »eine effizient arbeitende und bürgernahe Verwaltung« angestrebt wird. Dementsprechend soll auch online alles seine Ordnung haben, wie die Innenverwaltung mitteilt: »Jeder Meldung wird eine Identifikationsnummer zugeordnet, mittels derer sich die Bürgerinnen und Bürger über ein Ampelsystem über den Bearbeitungsstand der Meldung informieren können.« Künftig sollen Meldungen auch über eine App absetzbar sein, die demnächst kostenlos in den einschlägigen App-Stores erhältlich sein soll.
Für Andreas Prüfer (LINKE) ist all das nicht neu. Der Bezirksstadtrat für Ordnungsangelegenheiten in Lichtenberg arbeitet seit 2012 mit einer Online-Beschwerdestelle. In Brandenburg zu diesem Zeitpunkt schon vier Jahre lang etabliert, erprobte nun auch der Bezirk das »Maerker«-System. Prüfers Fazit: Nur etwa 1000 Anliegen pro Jahr seien über »Maerker« eingegangen, 14 000 dagegen klassisch per Telefon, Fax oder Brief.
Dennoch zeigt sich Prüfer als Unterstützer des neuen Weges: »Online sind die Hinweise leichter zu bearbeiten, sie müssen nicht aufgeschrieben werden und sie sind elektronisch verfolgbar.« Dass die Bürger sehen, was getan werde, sei »ein Image-Faktor für den öffentlichen Dienst«.
Tempelhof-Schöneberg und Marzahn-Hellersdorf zogen bald nach, nun haben alle Bezirke ihr Online-Ordnungsamt. Der Vertrag mit »Maerker« lief Ende Juni aus, seither warteten die Verwaltungen auf die neue Software. Mit der gibt es in manchen Bezirken noch Probleme, sodass der Startschuss nicht überall pünktlich erfolgen kann. Die Innenverwaltung begründet dies mit »Zusatzanforderungen und Änderungsbedarfen der Bezirke, die das ursprünglich beauftragte Programmiervolumen der beauftragten Firmen ansteigen ließ.«
Andreas Prüfer, der über ein funktionsfähiges System verfügte und lange auf die neue Technik wartete, hat Verständnis: »Computer sind auch nur Menschen.« Da Menschen jedoch keine Computer sind, ist stadtweit eine hohe Nutzungsintensität des Online-Ordnungsamtes durch empörte Bürger zu erwarten.
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