Eichel: Grexit-Debatte macht Krise immer größer
Ex-Bundesfinanzminister: Soziale Lage in Griechenland eine »Schande für ganz Europa« / Börse in Athen öffnet Montag wieder - mit Einschränkungen
Berlin. Der frühere Bundesfinanzminister Hans Eichel hält die von verschiedener Seite immer noch angefachten Diskussion über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone für gefährlich. »Sie muss sofort beendet werden«, schreibt der SPD-Politiker im »Weser-Kurier«. Wenn die Währungsunion ganz oder teilweise zur Disposition gestellt werde, »befeuert das die Spekulation gegen den Euro und macht die Krise immer größer und teurer«, so Eichel, in dessen Amtszeit die Aufnahme Griechenlands in die Eurozone fiel.
»Die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit der Jugend dort sind eine Schande und Bedrohung für ganz Europa.« Die Eurozone müsse nun Investitionsprogramme vor allem im Süden Europas auf den Weg bringen. Eichel tritt für eine tiefgreifende Reform der europäischen Währungsgemeinschaft ein. »Die Eurozone als der Integrationskern Europas braucht ein Art Finanzminister, der die makroökonomische Europaverträglichkeit der Fiskalpolitik aller Mitgliedsländer gewährleisten kann, ein eigenes Budget und eine Arbeitslosenversicherung sowie ein Parlament, das alles demokratisch gestaltet.«
Im Streit über Griechenland gehe unter, wie viel für den Kontinent auf dem Spiel stehe. »Wer nicht will, dass die USA allein die globalen Regeln bestimmen oder in harter Auseinandersetzung mit China, wer eine multipolare Weltordnung will, in der jeder Kontinent seine Dinge eigenverantwortlich ordnet und alle Kontinente gemeinsam gleichberechtigt die globalen Probleme lösen, der muss für ein starkes geeintes Europa eintreten«, schreibt der 73-jährige. »Und nur ein geeintes Europa mit dem Euro - und nicht bloß eine Freihandelszone, wie die Briten sie gerne hätten - kann eine globale friedensstiftende Rolle auf Augenhöhe mit den USA und China spielen.«
Derweil hat FDP-Parteichef Christian Lindner den Bundesfinanzminister aufgefordert, weiter an einem Plan B für das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro zu arbeiten. »Wolfgang Schäuble sollte jetzt seinen Worten umgehend Taten folgen lassen, indem er Vorschläge für ein Insolvenzrecht für Staaten inklusive Ausscheiden aus der Euro-Zone vorlegt«, sagte Lindner der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post«. Die aktuelle Forderung des IWF nach einem Schuldenerlass für Griechenland zeige, dass die Verhandlungsposition der Bundesregierung nicht schlüssig gewesen sei, so der FDP-Politiker. »Der von Frau Merkel ausgeschlossene Schuldenschnitt und die in der Tat notwendige weitere Einbeziehung des IWF sind unvereinbar«, sagte Lindner der Zeitung.
Fünf Wochen nach ihrer Schließung im Zuge der griechischen Finanzkrise soll die Börse in der Hauptstadt Athen nach Angaben aus Regierungskreisen am Montag wieder öffnen. Die entsprechende Genehmigung sei erteilt worden, sagte ein Vertreter des Finanzministeriums am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Die Börse war parallel zu den inzwischen wieder geöffneten griechischen Banken am 26. Juni geschlossen worden.
Laut Medienberichten gelten für griechische Anleger von Montag an aber einige Einschränkungen an der Athener Börse. Wie sich aus einem Erlass ergibt, werden die Griechen bis aus Weiteres nur dann Aktien kaufen können, wenn sie dafür Gelder aus dem Ausland ins Land bringen oder Bargeld dafür zahlen. Auch die restlichen Kapital-Verkehrskontrollen bleiben bestehen. Die Griechen können täglich 60 Euro von ihren Konten abheben. Die Kontrollen waren am 29. Juni auf Druck der Gläubiger verhängt worden. Die Griechen hatten in den vergangenen Monaten aus Angst vor einem Finanzzusammenbruch des Landes mehrere Milliarden Euro von ihren Konten abgehoben. Agenturen/nd
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