Es gibt keinen fairen Milchpreis
Ein Bonus für Bauern, die die Erzeugung drosseln, könnte gegen die schädliche Überproduktion helfen
»Die Molkereien zahlen den Milcherzeugern immer weniger«, schimpft der niedersächsische Milchbauer Ottmar Ilchmann. Der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), in der auch Öko-Bauern vertreten sind, wünscht sich einen fairen Preis. Bio-Großhändler Alnatura wirbt sogar mit »fairen Preisen« für seine Milchprodukte. Das heißt, die Molkerei, von denen Alnatura seine Milch bezieht, zahlt den Bauern ein paar Cent mehr.
Doch was ist ein fairer Preis? Der aktuelle scheinbar nicht. Das, was die Bauern von den Molkereien bekommen, liegt nach Angaben der AbL weit unter den Erzeugungskosten der Milchviehbetriebe. »Zur Zeit zahlen die Molkereien um die 30 Cent je Liter«, sagt ein Verbandssprecher. Nötig wären aber 40 Cent. Dieser Betrag entspräche den »Vollkosten« in der konventionellen Landwirtschaft. Darin enthalten sind die Kosten für die Aufzucht der Kälber, für Stall und Fütterung sowie der Lohn für die Arbeitszeit des Bauern. Ein unternehmerischer Gewinn fehlt in dieser ausdifferenzierten Kalkulation.
Nach Berechnungen der Milcherzeugergemeinschaft Milch Board deckt der aktuelle Preis sogar nur 68 Prozent der Kosten ab und ist damit so niedrig wie zuletzt 2009. Dabei sind Preise von Bundesland zu Bundesland durchaus verschieden. Übrigens auch europaweit: Griechenlands Bauern kriegen nach Angaben der Europäischen Marktbeobachtungsstelle in Brüssel mit 42 Cent weit mehr als ihre deutschen KollegInnen.
Allerdings richtet sich der konkrete Preis nirgends nach den Kosten. Bauern schließen mit Molkereien oder Einzelhandelskonzernen meist langfristige Verträge mit variablen Preisen ab. Die Preise beim selben Abnehmer unterscheiden sich dann üblicherweise lediglich nach der Qualität der angelieferten Milch, vor allem dem Fettgehalt. Dieser liegt im Schnitt bei über vier Prozent und damit höher als bei der Trinkmilch im Laden.
Der Vollkostenansatz, wie ihn Bauernverbände fordern, hat noch eine weitere Schwachstelle: Die Kosten sind in den Betrieben unterschiedlich hoch. Große Genossenschaften im Osten können nach Auffassung des Agrarökonomen Tilman Becker von der Uni Hohenheim weit preiswerter produzieren und machen auch bei einem Abnahmepreis von nur 30 Cent noch Profit.
Die Kleinen spielen allerdings im Milch-Monopoly nur eine Nebenrolle. Exportvizeweltmeister Deutschland ist mit einem Produktionsanteil von über 20 Prozent der größte Milcherzeuger in der Europäischen Union. Jeder dritte landwirtschaftliche Betrieb hält Milchkühe. Damit ist die Milchproduktion hierzulande der wichtigste tierische Produktionszweig - wichtiger noch als die Schweinemast. Doch seit 2008 nimmt laut dem Braunschweiger Thünen-Institut, das für das Bundeslandwirtschaftsministerium in Sachen Landwirtschaft forscht, die Milcherzeugung zu. Da in Deutschland der Konsum fast stagniert und die Preise vergleichsweise niedrig sind, fließt immer mehr Milch ins Ausland. Mittlerweile werden nach Angaben des Milchindustrie-Verbandes in Berlin 46 Prozent der Milch exportiert. Im vergangenen Jahr wurden Milchprodukte für 9,74 Milliarden Euro vor allem nach Europa ausgeführt - Rekord. Innerhalb von fünf Jahren nahm der Export um die Hälfte zu.
Seit dem Ende der Quotenregelung im Mai können die Landwirte in der EU ihre Milchproduktionsmengen nach ihren eigenen unternehmerischen Einschätzungen bestimmen. Für die Milchanlieferung erwartet die Brüsseler EU-Kommmission bis 2024 eine kontinuierliche Zunahme. Daher, so das Thünen-Institut, werden die Preisschwankungen »deutlich stärker ausfallen als bisher«. Vor diesem Hintergrund prognostizieren Experten einen weiteren Strukturwandel: Viele Kleine geben auf, Große werden größer. Die betriebliche Entwicklung werde allerdings zunehmend durch Flächenknappheit und Mangel an qualifizierten Arbeitskräften begrenzt. Darüber hinaus sind die Erzeuger mit steigenden gesellschaftlichen Anforderungen an umwelt- und tierfreundliche Tierhaltung konfrontiert.
»Aus wissenschaftlicher Sicht kann man nicht sagen, was ein fairer Preis ist«, resigniert Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut auf Anfrage. »Was ist fair - dass auch der Letzte noch Gewinn macht?«, fragt die Professorin rhetorisch zurück.
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik des Bundeslandwirtschaftsministerium, dem auch Frau Nieberg angehört, hält vor diesem Hintergrund eine Diskussion um faire Preise gar für »irreführend«. Jedenfalls, wenn sie auf deren Höhe zielt. Entscheidend sei, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle bestünden. Doch auch aus fairen oder gerechten Regeln könnten »Marktergebnisse resultieren, die nicht sozialverträglich beziehungsweise verteilungspolitisch erwünscht sind«, heißt es in einem Gutachten für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Kritiker weisen denn auch auf die grundlegend verschiedenen Bedingungen zwischen kargen, bergigen Schwarzwaldhöfen und Großagrariern in »fetten« norddeutschen Marschgebieten hin.
»Der Preis bildet sich durch Angebot und Nachfrage«, bringt es Agrarexperte Becker auf den profanen Punkt. Den eigentlichen Grund für den Preisverfall sieht daher die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in einem Überangebot an Milch. Bis Mai hatte die Milchquote das Angebot jedes einzelnen Landwirts noch gedeckelt. Doch nun müsse das Überangebot »verringert werden«, schlussfolgert der Bauernverband. Eine Verringerung der Menge sei aber nur zu erreichen, wenn sie überbetrieblich koordiniert werde. »Wir fordern daher die Molkereien auf, einen Bonus für diejenigen Milcherzeuger einzuführen, die ihre Erzeugung nicht ausdehnen oder sogar um wenige Prozentpunkte reduzieren«, erläutert Ilchmann. Viele Molkereien sind als Genossenschaft organisiert und gehören den Bauern. Schon eine geringe Reduzierung der Menge habe Signalwirkung, hofft der Bauernsprecher. Es wird wohl bei der Hoffnung bleiben. »Fair und Preis haben wenig miteinander zu tun«, lautet das Fazit von Professor Becker. Das Wort »Fair« appelliere an den ethischen Wert Gerechtigkeit - »aber das ist ein anderes Kapitel«.
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