Range hatte viele Mitwisser
In der Netzpolitik-Affäre waren Spitzenbeamte mehrerer Ressorts über die Ermittlungen informiert
In der Affäre um die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen Netzpolitik.org gibt es einen Buhmann, an dem sich derzeit alle abarbeiten: Generalsstaatsanwalt Harald Range, der die Ermittlungen gegen das Portal aufgenommen hatte. Selbst die Kanzlerin signalisierte am Montag, dass sie Ranges Vorgehen für unklug halte. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) habe die volle Unterstützung der Kanzlerin, sagte eine Regierungssprecherin am Montag. Weil Maas zuvor Ranges Ermittlungen kritisiert hatte, war das als Rüge für den Leiter der Bundesanwaltschaft zu verstehen. Auf parteipolitische Rücksichtnahme darf Range nicht hoffen. Er ist FDP-Mitglied.
Der liberale Oberjurist soll sich über Warnungen aus dem Justizministerium - immerhin seine Aufsichtsbehörde - hinweggesetzt haben. Man habe in Gesprächen auf Fachebene mit der Bundesanwaltschaft »Vorbehalte gegen das Verfahren deutlich gemacht«, so ein Sprecher des Bundesjustizministeriums gegenüber »nd«. Demnach hat sich Range über die Bedenken hinweggesetzt. Das überrascht, hatte sich der 67-Jährige in der NSA-Affäre doch den Ruf eines Zögerers erworben, der 2013 erklärt hatte, er könne keine Ermittlungen wegen der NSA-Affäre beginnen, weil es keine entsprechende Anweisung aus dem Justizministerium gegeben habe.
Oder waren diese »Vorbehalte« nicht eindeutig genug formuliert? Bei der Bundesanwaltschaft kann sich niemand an eine deutliche Warnung erinnern. Nur allgemeine Hinweise, dass ein solches Verfahren problematisch sein könne, habe es gegeben, zitiert die »Süddeutsche« Behördenvertreter.
Fakt ist: Am 27. Mai unterrichtete Range das Ministerium schriftlich über das am 13. Mai eingeleitete Verfahren. Das bestätigte der Ministeriumssprecher dem »nd«.
Nach Recherchen der »Süddeutschen« war nicht nur das Justizressort »frühzeitig« informiert. Spitzenbeamte mehrerer Ministerien sollen Details gekannt haben und »wussten vor allem von der Entscheidung Ranges, gegen die Journalisten zu ermitteln«. Viele Bundesministerin waren also über diesen schweren Angriff auf die Pressefreiheit vorab informiert, nur die Chefin angeblich nicht. »Das Kanzleramt hat von den Ermittlungen durch die Medien erfahren«, behauptete Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Montag. Aber wenn die Pressefreiheit betroffen ist, müssten Behörden eine »besonders sensible Abwägung« vornehmen, fügte Wirtz hinzu.
Durch die Affäre aufgeschreckt, will der Justizminister nun in einem Schnell-Gutachten »möglichst zeitnah« klären lassen, ob die Veröffentlichungen von Netzpolitik.org überhaupt einen Fall von Landesverrat darstellen. Auch Range hatte ein solches Gutachten in Auftrag gegeben, aber noch kein Ergebnis vorliegen.
Das bislang einzige Rechtsgutachten in der Frage stammt vom Bundesverfassungsschutz. Darin kamen die Autoren zu dem Schluss, dass die Bundesanwaltschaft zuständig sei und ermitteln könne. Das Ergebnis kann nicht überraschen, war es doch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, der mit seinen Strafanzeigen die Sache ins Rollen gebracht hatte. Auch wenn Maaßen nun betont, sein Vorgehen sei nicht gegen die Journalisten gerichtet: In einer Erklärung Ranges vom Sonntag heißt es es ausdrücklich, dass die Netzpolitik-Autoren in den Strafanzeigen »namentlich« genannt worden seien. Die Anzeigen waren wohl Vergeltung für die Veröffentlichung von Dokumenten aus dem Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses im Bundestag. Das Gremium ist auch für die Bewilligung von Ausgaben der Nachrichtendienste des Bundes zuständig. Da sich der Verfassungsschutz dort 2,75 Millionen Euro für den Ausbau der Internet-Überwachung beschaffen wollte, musste Präsident Hans-Georg Maaßen unappetitliche Details offenlegen. Entsprechend verärgert war er, als seine Schnüffelpläne publik wurden.
Trotz der Gemengelage (Mitwisserschaft in den Ministerien, ein Behördenleiter auf persönlichem Rachefeldzug) richten sich die Rücktrittsforderungen vor allem gegen Range. Die rechtlichen Hürden dafür sind niedrig: Der Generalbundesanwalt kann jederzeit von der Bundesregierung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Diese Lösung hätte den Nachteil, dass sich die Koalition auf einen Nachfolger einigen müsste.
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