Das Endlager begraben
Wohin mit dem Atommüll? Auf diese Frage hat auch Frankreich bisher keine Antwort
Bure ist ein Dorf mitten im Nirgendwo. Noch über eine Stunde muss man vom Bahnhof Nancy aus fahren, vorbei an kleinen Vororten, Feldern, Wäldchen und schließlich vereinzelten Bauernhäusern. Dann erst kommt man in dem Hundert-Seelen-Dorf an, das derzeit aber grenzüberschreitend Schlagzeilen macht. In dieser abgeschiedenen Gegend - einer der bevölkerungsärmsten Landstriche Frankreichs - spitzt sich gerade der Streit um die Zukunft der französischen Atomkraft zu. Die französische Regierung baut hier seit 15 Jahren an einer Testanlage für das erste Endlager für mittel- und hochradioaktiven Atommüll. Denn auch Frankreich hat sein Atommüllproblem noch nicht gelöst.
Dieser Tage stehen auf den Landstraßen Richtung Bure hunderte Atomkraftgegner und strecken den Daumen raus: Sie wollen - und viele tun das per Anhalter - bis zum 10. August in das kleine Dorf reisen. In der Nähe des Endlager-Testgeländes Cigéo, das von der französischen Atommüllbehörde Andra betrieben wird, findet seit ersten August ein Protestcamp statt. Denn wenn Cigéo sich bewährt, sollen in der idyllischen Gegend laut Plan der Betreiber schon ab 2030 in einer 500 Meter tiefen Tonschicht rund 240 000 Fässer Atommüll in einem Tunnelsystem lagern. Das wollen die Anti-Atom-Camper verhindern.
Erst vor drei Wochen hatte der französische Premierminister Manuel Valls mit einer Verfassungsklausel erreicht, die Vorlage für die Genehmigung des Endlagers ohne parlamentarische Abstimmung zu verabschieden. Das Gesetz gibt grünes Licht für die Pilotphase der Anlage in Bure. Ein demokratisch fragwürdiger Coup, der seit Wochen nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland für Aufsehen sorgt.
So sprach sich unter anderem der saarländische Landtag gegen die Einrichtung des Endlagers im benachbarten Lothringen aus - die französische Testanlage ist immerhin nur 120 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Die Saarländer forderten sogar die Bundesregierung auf, ihre Bedenken bei der französischen Regierung vorzutragen. Auch Europaabgeordnete wie Claude Turmes von den Grünen sprachen von einem »politischen Skandal«. Selbst die französische Umweltministerin Ségolène Royal steht nicht hinter dem Projekt, das ihre Regierung gerade durchgewunken hat, deckte das Magazin »Canard Enchainé« auf. Die Ministerin hätte sich gegen Valls gestellt und sei vom Präsidenten »abgewürgt« worden.
Die Protest-Camper zweifeln schon lange an der Sicherheit des Endlagers. Deshalb kauften einige Atomkraftgegner zusammen mit dem Netzwerk »Sortir du nucléaire« vorsorglich schon vor elf Jahren ein Bauernhaus im Dorf Bure neben dem Testgelände. Sie wollen die noch ansässige Bevölkerung davon überzeugen, dass die staatliche Behörde Andra das Risiko einer Unterbringung des Atommülls im Untergrund keinesfalls ermessen kann. »Wir sind dagegen, weil die Regierung glaubt, dass ihre Probleme gelöst sind, wenn sie erstmal den Müll verbuddelt hat«, erklärt Martial Chateau vom Anti-Atom-Netzwerk »Sortir du nucléaire«. »Sie sucht nach einer Lösung, damit das bisher gewichtigste Argument gegen die Atomkraft - der Müll - außer Kraft gesetzt ist und Frankreich auch die nächsten fünfzig Jahre weiter von Atomstrom leben kann «Diese Anlage wird nach dem Befüllen versiegelt und niemand kann den Müll jemals wieder herausholen.»
Dabei hat die Regierung unter Präsident Hollande sich im Juli verabschiedeten Energiewendegesetz verpflichtet, den Anteil der Atomkraft an der Stromversorgung zu reduzieren - ein historischer Schritt, der mit dem französischen Mythos der «Unabhängigkeit durch Atomenergie» endlich aufräumt, könnte man meinen. Aber auch vom Energiewende-Gesetz sind die Atomgegner nicht überzeugt: «Die Regierung will unter allen Umständen verhindern, dass Atomkraftwerke vom Netz gehen», meint Martial Chateau. Aus gutem Grund habe Hollande keinen Atomausstieg beschlossen, sondern lediglich versprochen, den Anteil der Atomkraft an der Stromversorgung zu reduzieren - von den heutigen 75 auf 50 Prozent.
Für die Protestcamper steht fest: Die Regierung und ihre ausführenden Behörden nutzen «mafiöse» Mittel, um ihre atomfreundliche Politik durchzusetzen - und sie denkt keineswegs an einen Atomausstieg, wie ihn die Bewegung fordert. Mit «demokratischer Maskerade, Landaneignung und Autoritarismus» würde das Endlager durchgesetzt. Deshalb wolle man nicht den Atommüll, sondern die Testanlage «begraben».
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