»Roma bekommen nirgends Recht«
Protestaktion in Hamburg
»Die Abschiebung von Roma geschieht ungesetzlich, jeden Tag droht Familien die Abschiebung ohne Gerichtsbeschluss!« In der Rede von Isen Asamovski vom Verband der Roma in Hamburg »Romano Jekipe« war die Frustration hörbar. »Wir haben gedacht, in Europa würden wir behandelt wie jeder Mensch. Aber egal, wo sie sind: Roma bekommen nirgendwo Recht.« 50 Menschen protestierten am Mittwochnachmittag am Flughafen gegen die Sammelabschiebungen in vermeintlich sichere Herkunftsländer auf dem Balkan.
Die Versammelten wandten sich ebenso gegen Überlegungen von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der »spezialisierte Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive« in Erwägung gezogen sowie gefordert hatte, auch Albanien und Kosovo zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Viele Flüchtlinge vom Balkan gehören der dort besonders stark diskriminierten - nach Ansicht der Bundesregierung aber nicht »politisch verfolgten« - Minderheit der Roma an.
In den vergangenen Wochen und Monaten hatten die Betroffenen immer wieder auf ihre Situation aufmerksam gemacht: mit Demonstrationen in der Hamburger Innenstadt oder einer »Streikwoche« vor der Ausländerbehörde. Seit der Bundestag im Herbst vergangenen Jahres Serbien, Bosnien und Mazedonien als »sichere Herkunftsländer« einstufte, haben sich für die Flüchtlinge nicht nur die Chancen auf ein Bleiberecht verringert. In der öffentlichen Diskussion werden sie verstärkt als Wirtschaftsflüchtlinge ohne politische Fluchtgründe denunziert. Ganz nach dem Motto: Wir könnten den »echten Flüchtlingen« ja viel besser helfen, wenn nur diese »falschen Flüchtlinge« nicht wären. Hamburgs Innensenator Michael Neumann nannte es in einem NDR-Interview »abstrus, dass wir 50 Prozent der Flüchtlinge vom Balkan haben«.
Eine Unterteilung in »echte und unechte« Flüchtlinge sei »absolut inakzeptabel«, erklärte Silas Kropf aus dem Vorstand des Berliner Jugendverbands Amaro Drom: »Fluchtgrund ist die unerträgliche Lebenssituation in den Heimatländern, wo sich die Diskriminierung der Roma auf ziemlich alle Lebensbereiche wie Arbeit, Wohnung, Bildung und Gesundheit erstreckt.« Dass Bayern und Sachsen jüngst spezielle Aufnahme- und Abschiebelager für Balkan-Flüchtige anregten, stößt bei der dortigen Opposition und Flüchtlingsinitiativen auf heftigen Widerspruch.
Zumal die Anerkennungsquoten für asylsuchende Roma nach Angaben von Pro Asyl in anderen europäischen Ländern zum Teil wesentlich höher sind als in Deutschland, wo sie bei einem Prozent liegen. Bei Kosovaren in Finnland um die 40 Prozent, bei Serben in der Schweiz bei 37 Prozent, bei Bosniern in Frankreich bei etwa 20 Prozent. Die niedrige Schutzquote in Deutschland werde »durch falsche, antihumane Asylgesetze verursacht«, kritisierte Juliane Nagel, migrationspolitische Sprecherin der LINKEN im sächsischen Landtag. »Menschen aus den sogenannten Westbalkan-Staaten müssen den gleichen Zugang zum Asylverfahren und menschenwürdige Aufnahmebedingungen vorfinden.«
Die Protestkundgebung am Hamburger Flughafen erinnerte nicht nur an die prekäre Situation heutiger Flüchtlinge, sondern steht auch im Zusammenhang mit dem internationalen Gedenktag an die Ermordung von rund 2900 Roma in der Nacht vom 2. zum 3. August 1944 in Auschwitz. »Es waren die letzten Angehörigen unserer Minderheit, die die Hölle von Auschwitz bis dahin überlebt hatten«, schilderte Romani Rose bei einer Gedenkveranstaltung im Staatlichen Museum von Auschwitz am Sonntag.
Der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma machte sehr deutlich, dass er um die Gegenwart besorgt ist: »Dass die öffentliche Debatte um sogenannte Armutsmigration in der Bundesrepublik allein auf dem Rücken unserer Minderheit ausgetragen wird und man die Frage nach den gesellschaftlichen Ursachen dabei völlig ausblendet, ist ebenso verlogen wie zynisch.« Rose bezeichnete es als »besonders unerträglich, wenn Armut und Perspektivlosigkeit von den politisch Verantwortlichen zu einem angeblichen ›kulturellen Merkmal‹ der Minderheit erklärt werden.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.