Zwillingsstadt mit gesamteuropäischem Anspruch
Bei der Ausgestaltung der grenzüberschreitenden Kooperation erwarten Frankfurt (Oder) und Slubice auch mehr staatliche Unterstützung
Frankfurt (Oder). Der Vorstellung, die viele Menschen sich von Europa machen, dass es nicht nur eine gemeinsame Bank sein sollte, sondern ein gemeinsames Haus, sind Frankfurt (Oder) und Slubice in den vergangenen Jahren vielleicht näher gekommen, als Brüssel oder Berlin. Diese Erfahrung machte auch Staatssekretär Thomas Kralinski bei seiner zweiten offiziellen Visite in der Oderstadt: «Frankfurt ist keine Stadt wie jede andere», sagte der Bevollmächtigte des Landes Brandenburg beim Bund und Beauftragte für internationale Beziehungen nach dem Besuch am Mittwoch, bei dem es vor allem um die Zusammenarbeit mit Polen ging. «Frankfurt ist ein Leuchtturm der deutsch-polnischen Beziehungen.» Frankfurt und Slubice bilden eine Zwillingsstadt, die in ihrer Zusammenarbeit so weit fortgeschritten ist, wie sonst wahrscheinlich nirgendwo sonst in Deutschland.«
Ein Grund dafür dürfte sein, dass wirtschaftlicher und kultureller Austausch hier lange vor der gesellschaftlichen Transformation gepflegt wurden. Im früheren Halbleiterwerk kam zu DDR-Zeiten ein großer Teil der einst rund 8000 Beschäftigten aus dem Nachbarland. Das Deutsch-polnische Jugendorchester feierte vor zwei Jahren sein 40jähriges Bestehen und die »Musikfesttage an der Oder« zählen seit Jahrzehnten zu den kulturellen Höhepunkten. Als die Viadrina 1991 als Europa-Universität wiedergegründet wurde, verstand sie sich von Anbeginn als Brückenuniversität. In Partnerschaft mit der Adam-Mieckiewicz-Universität Poznan entstand auf polnischer Seite das Collegium Polonicum als gemeinsame akademische Einrichtung. Nahezu jeder dritte Student kam in den Anfangsjahren aus Polen. Auch heute sind finden sich unter 6500 Viadrina-Studenten aus 80 Ländern viele von jenseits der Oder. Obwohl nur ein geringer Teil von ihnen in Frankfurt lebt, schöpfen aus diesem Potenzial auch Initiativen wie der Verein Slubfurt, der auf vielfältige Weise die Vision einer europäischen Doppelstadt mit Leben erfüllt und dies bereits tat, als Slubice sich für viele Deutsche vor allem mit Tanken, Zigaretten und Friseur zum Schnäppchenpreis verband - und als in Frankfurt noch ein Brötchenkrieg tobte, weil polnische Bäcker ihre preiswerte Ware dort verkaufen wollten. Inzwischen gibt es Projekte bis hin zur gemeinsamen Daseinsvorsorge - von der 2012 eröffneten grenzüberschreitenden Buslinie bis zur Kopplung der Fernwärmenetze beider Städte 2015.
Sorgen bereitet Oberbürgermeister Martin Wilke und seinem Slubicer Kollegen Thomas Ciszewicz der grenzüberschreitende Eisenbahnverkehr. Auf die Pläne zur Einstellung der Verbindung zwischen Frankfurt und Poznan haben sie mit einem gemeinsamen Brief an Polens Infrastrukturministerin Maria Wasiak reagiert. Jetzt hofft Wilke auf den von der Landesregierung im September anberaumten Bahngipfel. Der soll, so Kralinski, auf eine gemeinsame Strategie für die nächsten zehn bis 15 Jahre hinarbeiten.
Frankfurts Pläne beeindruckten Kralinski: Die deutsch-polnischen Bildungsangebote von der Kindertagesstätte bis zur Universität sollen durch eine gemeinsame Grundschule ergänzt werden. Die Viadrina soll ebenso wie das Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik IHP zum Motor für die dringend notwendige ökonomische Entwicklung werden. Wachsende Wertschöpfung und verstärkte Ausrichtung auf Forschung und Entwicklung sind Schwerpunkte in der Wirtschaftsförderung der Stadt. »Dazu brauchen wir eine stärkere Unterstützung auch durch den Bund«, betont Wilke. Letztlich gelte es, Talente an den Standort zu binden.
»Wir wollen unseren Beitrag leisten zur deutsch-polnischen Zusammenarbeit und bringen uns auch bei überregionalen Themen ein. Dabei tragen wir unsere Erfahrungen gern nach außen«, sagt Wilke. Doch für die Umsetzung der Ziele, die mit Slubice im gemeinsamen Handlungskonzept abgestimmt sind und die ins Integrierte Stadtentwicklungskonzept aufgenommen wurden, fordert er auch Handlungsfreiheit ein. »Sonst können wir unsere Chancen nicht nutzen«, mahnt der Oberbürgermeister angesichts der in Potsdam geplanten und von den kreisfreien Städten massiv kritisierten Kreisgebietsreform. Kralinskis Versicherung, dass Frankfurt als Oberzentrum ein wichtiger Anker für das Land sei und bedeutende Kulturaufgaben über die Grenzen der Region hinaus erfülle, ist nicht neu. Das wusste die Landesregierung auch schon, als sie ihre Reformschablone entwarf.
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