Berlin benutzt Flüchtlinge für Krisenpolitik
Bericht über Forderung von deutschem Finanzstaatssekretär: Athen soll Asylprobleme lösen - erst dann neues Kreditprogramm / 27-seitiger Entwurf für neues Memorandum liegt vor
Berlin. In den Verhandlungen zwischen der Regierung in Athen und den Gläubigern über ein drittes Kreditprogramm liegt nun ein Entwurf der Auflagen vor, die Griechenland im Gegenzug umsetzen muss. Aus Brüssel verlautete, die Gläubiger hätten sich untereinander auf einen 27-seitigen Entwurf eines Memorandum of Understanding geeinigt, in dem die von der Regierung in Athen verlangten Gegenleistungen fixiert seien. Dieser müsse aber noch mit der griechischen Regierung abgestimmt werden. Die Grundrisse des Programms könnten schon am Dienstag stehen, berichtete die griechische Presse.
Der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis äußerte sich verhalten optimistisch vor Reportern, die vor dem Hotel in der griechischen Hauptstadt Athen warteten, wo die Verhandlungen stattfanden: Presseberichte, die eine Einigung in greifbarer Nähe sehen, »könnten« zutreffend sein, sagte Stathakis. »Wir nähern uns der Zielgeraden.« Schon nach einer Telefonkonferenz der Institutionen mit Experten der EU-Staaten am Freitagabend hatte es ähnlich lautende Einschätzungen gegeben. »Es ist ambitioniert, aber machbar, in den nächsten Tagen eine Einigung zu erzielen, vorzugsweise bis zum 20. August«, hieß es danach aus EU-Diplomatenkreisen.
Nach Informationen der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« bleibt aber weiter ungewiss, ob die Bundesregierung bei diesem Zeitplan mitspielt. In einer Telefonkonferenz der Finanzstaatssekretäre am Freitagabend habe der deutsche Vertreter Thomas Steffen verlangt, dass Griechenland erst sein Flüchtlingsproblem in den Griff bekommen müsse, bevor das Programm beschlossen werden könne. Andere Staaten hätten dies als sachfremd zurückgewiesen. Außerdem will Deutschland dem Bericht zufolge zunächst nur etwa 20 Milliarden Euro als erste Kreditrate freigeben, während die Institutionen 30 bis 35 Milliarden Euro für richtig halten.
Die Gläubiger-Institutionen bescheinigten den griechischen Behörden eine »sehr gute Zusammenarbeit«. Es gebe aber noch einige ungelöste Fragen, am Wochenende seien daher weitere »intensive Gespräche« nötig, verlautete aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Wie die Athener Zeitung »Kathimerini« schreibt, geht es unter anderem um die Aufhebung der Steuererleichterungen für Landwirte, die Ladenschlusszeiten am Sonntag, die Deregulierung von Berufszweigen. Ebenso ist noch offen, wie viele der Auflagen die SYRIZA-geführte Regierung bereits umsetzen muss, bevor erstes Geld aus dem Kreditprogramm fließt, das insgesamt ein Volumen von 82 Milliarden Euro haben soll.
Seit vergangener Woche beraten Vertreter der Gläubiger-Quadriga - Internationaler Währungsfonds (IWF), EU-Kommission, Europäische Zentralbank (EZB) und Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM über die Einzelheiten. Am 20. August muss Athen 3,4 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen, ohne derzeit das Geld dafür zu haben. Gelingt vorher eine Einigung - die dann allerdings auch noch von nationalen Parlamenten wie dem Bundestag bestätigt werden müsste - würde die griechische Regierung die alten Schulden mit neuen Krediten aus dem dritten Programm begleichen. Reicht die Zeit nicht, müsste Athen bei der EU einen neuen Brückenkredit beantragen - auch hier: neue Kredite zur Begleichung alter Schulden.
Sollte eine weitere Brückenfinanzierung notwendig werden, fordert der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, eine Einbeziehung des Bundestags. »Gerade in Angelegenheiten, die Griechenland betreffen, ist eine enge Abstimmung der Regierung mit dem Bundestag notwendig, um Vertrauen zu erhalten«, sagte Kauder dem »Spiegel«. Die Abgeordneten hatten Mitte Juli bereits über die Aufnahme von Verhandlungen über das Kreditprogramm abgestimmt. Damals ging es auch um die erste Brückenfinanzierung. Agenturen/nd
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