Der Bagger soll stehen

Mit einer Blockade im Tagebau soll das Kimacamp Rheinland am Wochenende seinen Höhepunkt erreichen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.

Binnen weniger Tage ist mitten in der Pampa ein kleines Dorf entstanden. Komposttoiletten auf Holzfundamenten, eine Waschgelegenheit, eine vegane Küche, ein Krankenzelt, dazu Veranstaltungszelte - mitten auf einer Wiese im Rheinischen Braunkohlerevier, die von Landstraßen und landwirtschaftlich genutzten Flächen umsäumt wird. Selbst Elektrizität gibt es hier auf dem Klimacamp Rheinland, erzeugt wird sie bisher exklusiv mittels Solarzellen.

Nach wenigen Stunden steht aber auch ein rund eineinhalb Meter großes Windrad. Selbstgebastelt. »Solar- und Windeenergie ergänzen sich optimal, wenn die Sonne nicht scheint, weht meistens Wind«, sagt Christoph vom Windradkollektiv Böe, das den Workshop organisiert. Der Stahl stammt vom Schrott, die Spulen wurden eigenhändig aufgewickelt, die Flügel wurden windschnittig aus einem Holzpanel gesägt. »In einigen Bundesländern kann man Windräder, die kleiner als zehn Meter sind, ohne Baugenehmigung, manchmal auch ohne Statiker bauen«, sagt Christoph, von Hause aus Maschinenbauer. Er leitet die Bastler an und vermittelt theoretisches wie praktisches Wissen. 400 Watt Strom liefert das Windrad, das einen Akku speist. »Damit können wir zehn Laptops gleichzeitig aufladen«, sagt der Mann im Bieber-T-Shirt. Ein normaler Drei-Personen-Haushalt bräuchte rund vier Windräder. Das Kollektiv entstand auf einem Bauwagenplatz in Kassel, wo es im Winter an Strom mangelte. Erste Erfahrungen sammelten die Bastler mit klapprigen Windrädern. In den letzten vier Jahren haben die Böe-Leute, darunter Ingenieure und Pädagogen beiderlei Geschlechts, fünfzehn Workshops betreut und genau so viele Windräder errichtet.

Was ist die Anti-Kohle-Bewegung?

Die Anti-Kohle-Bewegung wächst und gewinnt an Einfluss - doch Objekt systematischer wissenschaftlicher Forschung ist sie offenbar nicht. Fragt man bei Bewegungsforschern nach, meist Soziologen und Politologen, so wird man mitunter an Aktivisten und NGO-Akteure verwiesen. Diese würden sich, das gestehen die Damen und Herren Wissenschaftler freimütig ein, mit dem Thema besser auskennen.

Mitunter erhält man als Journalist auch die lapidare Antwort, von einer Anti-Kohle-Bewegung habe man, obwohl vom Fach, noch nie gehört. Andere Experten wispern, die Bewegungsforschung sei derzeit in Deutschland generell »nicht gut aufgestellt«. Die Anti-Kohle-Proteste in Deutschland werden auch als Teil der Klimabewegung interpretiert. So beispielsweise im 2014 erschienenen Handbuch »Die internationale Klimabewegung«. Es beschreibt eine breite, bunte und in Teilen antikapitalistische Bewegung, die sich mitunter auch mit dem Thema Kohlekraft beschäftigt.

Doch das ist eigentlich zu wenig der Ehre: 22 Kohlekraftwerksprojekte, die seit dem Jahr 2007 in der Bundesrepublik »verhindert« wurden, listet der Kohle-Atlas auf, eine lesenswerte (und auch online abrufbare) Broschüre der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und des Umweltverbandes BUND. Im selben Zeitraum seien sieben Kohlekraftwerke in Betrieb genommen worden. Darunter befindet sich allerdings das dank Ausbau »größte Braunkohle-Kraftwerk der Welt« (RWE-Prosa), gelegen in Grevenbroich-Neurath, Rheinisches Revier. In den USA wurden laut Kohle-Atlas im selben Zeitraum 104 von 151 geplanten Kohlekraftwerksbauten wieder abgesagt. Mehr oder minder erfolgreiche Proteste gebe es trotz »Repressionen, Schikanen und Gewalt« unter anderem auch in Indien, China, Australien und England.

Das Spektrum der Widerstandsaktivitäten reicht von juristischen Klagen, Demonstrationen und Boykotten über Blockaden und Hafenbesetzungen bis - zumindest in einem Fall - zum fünfwöchigen Hungerstreik.

Zum sechsten Mal findet das Klimacamp Rheinland statt - diesmal ist alles eine Nummer größer. Man tat sich zusammen mit einer wachstumskritischen Sommerschule, die Aktionen werden größer und spektakulärer sein. Auch das mediale Interesse ist groß. Die Teilnehmerzahl: an die 1000.

Kaum war das Klimacamp in der Niederlausitz beendet, begann Ende letzter Woche das Klimacamp hier in der zweiten wichtigen Braunkohleregion, wo gut 56 Prozent der deutschen Braunkohle gefördert und größtenteils vor Ort verstromt werden, alles unter Ägide des Energiekonzerns RWE. Das Problem: Braunkohle ist der mit Abstand klimaschädlichste Energieträger, bei seiner Verbrennung werden zudem giftige Schwermetalle wie Quecksilber, Blei, Cadmium und Arsen emittiert.

Wirklich herzlich willkommen sind die Klimaaktivisten in der Region zwischen Köln, Mönchengladbach und Aachen nicht, doch legt man ihnen auch nicht, wie in früheren Jahren, Steine in den Weg. Offenbar haben sich die Einheimischen mit der jährlichen »Invasion« abgefunden. Selbst die Presseberichte werden freundlicher: So ruft die CDU-nahe »Rheinische Post« dazu auf, den Demonstranten Fahrräder zur Verfügung zu stellen, damit sie zu den Aktionen strampeln können.

Geplanter Höhepunkt des Camps ist eine dreitägige Besetzung mehrerer gigantischer Schaufelradbagger in den drei Tagebauen des Rheinischen Reviers. Sie wird, beginnend am Freitag, an diesem Wochenende stattfinden. Das Bündnis »Ende Gelände« rechnet mit einer vierstelligen Teilnehmerzahl, zumal bundesweit auf Veranstaltungen für den Protest mobilisiert wurde und Busse aus vielen Teilen der Republik ins Rheinlandfahren. Die drei großen Umweltverbände Greenpeace, Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und World Wide Fund for Nature (WWF) unterstützen die Aktion.

»Der größte Erfolg der Bewegung ist, dass die Verbrennung von Kohle in Deutschland inzwischen breit als Klimaproblem wahrgenommen und über einen Kohleausstieg offen diskutiert wird. Ihr größter Fehler war zu hoffen, dass sich Klimaschutzpolitik in Deutschland an der Klimawissenschaft und nicht an der Kohlelobby orientiert«, sagt Susanne Neubronner, Kohleexpertin von Greenpeace Deutschland. Die Energieexpertin des BUND, Tina Löffelsend, hebt als Erfolg hervor, dass die Bewegung seit 2006 viele geplante Kraftwerksprojekte verhindert habe. Beide fordern einen Braunkohleausstieg bis 2030. Mit solch »laschen« Forderungen können sich viele Klimacamper kaum anfreunden. Ihnen kann der Ausstieg nicht schnell genug kommen.

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