Festungen für die Superreichen
Dirk Westphals Berlin-Roman »Die Gestörten« könnte auch »Die Geschlagenen« heißen
Die Ereignisse in diesem Roman spielen sich im Jahr 2003 ab, sind aber heute oder morgen nicht weniger aktuell. Radiomeldungen aus aller Welt, die zwischen die kleinen Kapitel oder Szenen eingefügt sind, klingen jetzt nicht viel anders als vor zehn Jahren (Ist das alles überhaupt schon so lange her?), nur dass die Praktiken der Bauunternehmer und ihrer Helfershelfer eher noch raffinierter und rücksichtsloser, die Flüchtlingsströme aus Osteuropa, Syrien oder afrikanischen Ländern weit größer geworden sind. Und um diese beiden Gruppierungen geht es. Man könnte den Romantitel »Die Gestörten« mit dem Begriff »Die Geschlagenen« ergänzen.
In den besten Berliner Wohngegenden und auf den Filetgrundstücken in Potsdam und am Caputher See wohnen die Reichen und die nach der Wende reich Gewordenen in ihren Villen in einem Luxus, der für »Otto Normalverbraucher« wie für die Leser unvorstellbar ist. Die Probleme der Frauen beschränken sich auf die Attraktivität ihrer designten Körper und raffinierten Sex. Kinder gibt es hier keine. Im Osten, im Flüchtlingsheim in BerlinHellersdorf, sitzen die Flüchtlingsfamilien in winzigen Wohnungen zusammengepfercht. Die Männer schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch.
Zur ersten Kategorie gehört der steinreiche Maschinenbauunternehmer »Joe« Joachim Groening mit seinen alten Freunden, Veteranen und Anwälten. Seinen Hauptwohnsitz hat er noch immer in Paderborn, aber inzwischen besitzt er Immobilien in aller Welt. Außerdem sind da der Jungunternehmer Paul van Orten aus traditionsreicher Adelsfamilie und seine Gespielin, die Immobillienmaklerin Sylvia Reutlingen. In diese Schicht sind der ehrgeizige, in der Groening AG operierende Jürgen Dörrfeld und Meinhard von Knierim aufgestiegen, ein einflussreicher Beamter in der Potsdamer Stadtbauverwaltung. Er schafft die nötigen Verbindungen zwischen Unternehmern und Kommunalbeamten.
Zur zweiten Kategorie, den Geschlagenen, gehört der Banater Schwabe Romani Deutschlaender mit Frau Agneta und Tochter Andrea. Trotz Bemühungen ist es ihnen bisher nicht gelungen, dem Heim zu entkommen. Außerdem ist da auch der Marokkaner Espinoza Tarom, der übers Mittelmeer bis nach Deutschland geflüchtet ist. Er hat weder Wohnsitz noch reguläre Arbeit. Und immer träumt er von seiner Heimat …
Es gibt ein paar Personen mehr in diesem kontrastreichen sozialen Bild. Einer muss auf jeden Fall noch genannt werden: der Unternehmer Jeff Albright. Der hat aus Amerika das besonders einträgliche Baukonzept seiner »Joy Lands« mitgebracht und verwirklicht es nun auch in Berlin und im Berliner Umland. Er errichtet »Gated Communities«, abgeschlossene, bewachte Wohnbereiche, Festungen für die Superreichen. Um dafür Interessenten zu finden, müssen die aber erst einmal in ihren bisherigen Stadtvierteln durch allerlei Vorkommnisse wie Überfälle und Brände ordentlich verschreckt werden.
Nun sind in einer Stadt wie Berlin die »obere« und die »untere« Welt doch nicht ganz zu trennen, und so geht das Ganze gleich mit einem Zusammenprall, bzw. mit einer Begegnung der besonderen Art los: Gelegenheit macht Diebe, vor allem wenn einer nicht mehr ein noch aus weiß. Und so nimmt dann Vieles einen anderen Verlauf als geplant. Paul van Orten erfährt Romani Deutschlaenders Schicksal und bereut so einiges, und Jürgen Dörrfelds Pläne, den alten Groening auszutricksen, fallen ihm selbst auf die Füße. Nur Albright wird wohl seine »Joy Lands« weiterbauen - Richtung Osten und so fort.
Dirk Westphal hat die Vorlage für eine Art Kriminalfilm mit sozialem Touch geliefert. Manches darin, vor allem die Versöhnung zwischen Deutschlaender und van Orten, ist nicht glaubhaft, aber schließlich mildert der Autor damit das klischeehafte Schwarz-Weiß-Bild etwas ab. Der Darstellung mit vielen Schnitten und wechselnden Szenerien tut das keinen Abbruch, im Gegenteil - irgendwie soll der »Krimi« doch ein bisschen hoffnungsvoll enden.
Dirk Westphal: Die Gestörten. Roman. Verlag tredition. 219 S., br., 14,50 €.
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