Schwierige Übergangsphase

Keine Einigkeit: Ist der Zusammenbruch der Hirnfunktionen schon der Tod oder nur ein guter Grund, die Apparate abzustellen?

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Hirntod bezeichnet das irreversible Ende aller Hirnfunktionen und gilt in vielen Ländern als Voraussetzung für die Entnahme von Organen. Die 1968 eingeführte Regelung ist aber nicht unumstritten.

Mit einem Kreuzchen auf dem Organspendeausweis erklärt man: »Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in Frage kommt« seine Bereitschaft, Organe entnehmen zu lassen. Doch wann ist das, »nach dem Tod«? Wenn der Tote erst einmal kalt im Leichenschauhaus liegt, sind die Organe nicht mehr für eine Transplantation geeignet. Doch die seit den 1950er Jahren entwickelten Beatmungs- und Blutversorgungstechniken brachten nicht nur manchen »klinisch« Toten wieder ins Leben zurück, sie erlauben auch, den Körper eines Menschen, dessen Hirn so stark geschädigt ist, dass es Atmung und Herz nicht mehr in Gang halten kann, weiter mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen.

Angesichts dieser technischen Entwicklung sahen sich Ärzte immer öfter vor die schwierige Entscheidung gestellt, ob die lebenserhaltende Technik abgeschaltet werden kann, da eine vollständige Gesundung nicht mehr zu erwarten ist. Mediziner der Harvard Medical School in den USA entwarfen daher 1968 das Hirntod-Konzept. In jenen Fällen, in denen das Hirn irreversibel versagt hat, solle man den Patienten durch Abschalten der Geräte sterben lassen können.

Zwar ist seither die Diagnostik des Hirntods und seine Abgrenzung gegenüber anderen Koma-Formen wesentlich verfeinert worden, doch der Streit darüber, ob die Harvard-Mediziner damals tatsächlich den Tod definiert haben, hält unter Medizinern und Philosophen an. Der deutsche Philosoph Hans Jonas kritisierte den Ansatz schon kurz nach Veröffentlichung. Eigentlich habe man nicht den Tod definiert, sondern nur Kriterien, wann man ihn geschehen lassen könne, bemängelte Jonas.

Die Harvard-Mediziner begründeten die Hirntod-Definition noch damit, Ärzte und Angehörige (auch finanziell) zu entlasten. Doch die zur selben Zeit eingeführte Organtransplantation machte die Debatte wesentlich brisanter. Denn damit wurde der Hirntote zum potenziellen Organspender. Schließlich wurden alle Organe weiter mit Blut versorgt, waren also mit denen eines lebenden Spenders vergleichbar.

Und da die gesetzlichen Regelungen zur Organspende in der Regel voraussetzen, dass der Spender zum Zeitpunkt der Organentnahme tot sein muss, mussten die Einwände gegen das Hirntodkonzept neu diskutiert werden.

Der Deutsche Ethikrat zeigte sich in der jüngsten Stellungnahme zum Thema Hirntod und Organspende im Februar dieses Jahres gespalten in der Frage, ob der Hirntod tatsächlich der Tod des Individuums ist. Allerdings akzeptierten auch die Gegner des Hirntod-Konzepts dessen Feststellung als »notwendiges Kriterium« für eine Organentnahme. Auffällig sowohl im Ethikrat als auch bei der Debatte in Publikationen und auf Konferenzen: Die Gegner des Hirntodkonzepts sind überwiegend Philosophen, Bioethiker und Juristen, die Befürworter meist Mediziner.

Dabei ist die deutsche Regelung, die sich auf den Hirntod als entscheidendes Kriterium stützt, trotz aller philosophischer Bedenken noch um einiges verlässlicher als die Praxis in einigen unserer Nachbarländer. So ist etwa in Italien, der Schweiz und Belgien eine Organentnahme auch nach einem Kreislaufstillstand zulässig. Und da dieser wegen der möglichen Schädigung der Organe nur kurz sein darf, ist dort nur eine kurze Wartezeit (10 bis 20 Minuten) vorgeschrieben, für eine verlässliche Hirntoddiagnose ist das recht wenig Zeit. In US-Kliniken sind es teilweise nur zwei Minuten. Und da gibt es deutlich mehr Fälle einer Genesung nach künstlicher Wiederherstellung des Blutkreislaufs als beim Hirntod. Sicher ist nur: Ohne lebenserhaltende Technik würden die Patienten in beiden Fällen sterben.

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