Lauwarme Tomaten
In Kaltland darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden, weiß Sarah Liebigt
Wenn man glaubt, blöder geht’s nicht mehr, kommt von irgendwoher ein Volldepp her. Oder: In Deutschland muss alles seine Ordnung haben. Auch die Hilfe für hunderte Flüchtlinge. Völlig wurscht, ob die in Großstadthitze vor Ämtern ausharren und auf Beratung, Betreuung, Aufnahme warten: Die Kühlkette darf dabei nicht unterbrochen werden. Damit sind selbstverständlich nicht kühle Orte für erschöpfte Menschen gemeint. Sondern die Gurken, Tomaten und Säfte, die von freiwilligen Helfern angeschleppt werden, damit die Ankömmlinge wenigstens ’ne Stulle kriegen. ’Ne Stulle.
So richtig typisch deutsch klingt das, was am Donnerstag vom Platz vor der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge zu hören war. Einer anonymen Anzeige sollen Mitarbeiter des Gesundheits- und Veterinäramtes gefolgt sein, um auf dem Gelände das Fehlen eines Kühlschrankes zu beanstanden. Bedenkt man, dass über die Zahl der bedürftigen Flüchtlinge wie über die Arbeit der Helfer seit Tagen berichtet wird, darf man wohl noch froh sein, dass es erst jetzt eine Reaktion gibt.
Wobei: vielleicht auch nicht. Hätte die Kontrollbehörde schon den ersten Schnitt in eine lauwarme Tomate bemängelt, hätte sich vielleicht irgendwer verpflichtet gefühlt, mal um entsprechende technische Ausrüstung zu bitten.
Weggucken und denken »Wer anders wird’s schon richten« ist ein beliebtes Verhaltensmuster. Bis die Tomaten gefrustet gegen Behördentore fliegen. Dann wird sofort reagiert.
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