Nazi-Schläger zu 90 Tagessätzen verurteilt
»Die Rechte«-Kader Lukas Bals hatte Dortmunder Ratsfrau an Schläfe geschlagen
Das Video und die Fotos waren unzweideutig: Der Angeklagte hatte die Geschädigte mit der linken Faust geschlagen an jenem 25. Mai 2014, als rund 25 Nazis Einlass begehrten in das Dortmunder Rathaus. Dort fand an diesem Abend die Party zur Europa- und Kommunalwahl statt.
Doch das Verfahren dauerte fast fünf Stunden – auch wegen der oft bizarr wirkenden Fragemarathons, Beweisanträge und sonstigen Verzögerungsversuche des ungepflegt und streckenweise neurotisch wirkenden Verteidigers Andre Picker.
Er ist wie sein Mandant fest in der rechten Szene verwurzelt, wenngleich beide in unterschiedlichen Abteilungen. Picker fällt eher in die Abteilung bürgerliche Rechte, war lange Zeit Vorstand der Rechtspopulisten von »Pro NRW«. Laut der Tageszeitung »Die Welt« verteidigt Picker nicht nur regelmäßig Nazi-Szenegrößen, sondern gab 2009 in München für Nationale Sozialisten eine Rechtsschulung.
Als Dortmunder Rathaussturm wurde die Attacke bekannt, bei der die Nazis, meist Kader und Mitläufer der Partei »Die Rechte«, mit Fäusten, Flaschen und Tränengas jene Lokalpolitiker und Linke attackierten, die sich ihnen friedlich in den Weg stellten. Die Staatsanwaltschaft sollte mehr Verfahren gegen die Demokraten eröffnen, meist wegen Nötigung der Nazi-Schläger, als gegen Gewalttäter.
Dochnun stand einer der Nazis vor dem Dortmunder Amtsgericht. Der »Die Rechte«-Kader Lukas Bals musste sich verantworten, weil er ebenso gut dokumentiert wie hemmungs- und rücksichtslos die Piraten-Politikerin und Ratsfrau Nadja Reigl an die rechte Stirnseite geschlagen hatte, um sich dann heldenmutig von dannen zu machen. Reigl erlitt nach eigener Aussage starke Kopfschmerzen, ferner eine ärztlich attestierte Schwellung.
Vor Gericht wurde ernsthaft diskutiert, warum es sich bei der Attacke eigentlich nicht um Notwehr handele. Schließlich waren sich Richterin Martina Naujoks, Staatsanwalt Ludger Strunk, natürlich Rechts-Anwalt Picker, aber auch Nebenklage-Vertreter Manuel Kabis in einem Punkt einig: Es war tatsächlich nicht in Ordnung, sich den Nazis in den Weg zu stellen an jenem Wahlabend im Mai 2014. Picker ging noch einen Schritt weiter: Er wollte die Gewalttat seines Mandanten als Nothilfe gewertet wissen, schließlich seien ja möglicherweise Kameraden von Bals bedroht gewesen.
Das Opfer Reigl musste denn auch zeitweilig von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen: Gegen sie wurde zunächst wegen Landfriedensbruch, dann wegen Nötigung ermittelt. Die 36-Jährige erfuhr davon, als sie am Tag nach der Tat auf der Polizeiwache Anzeige gegen Bals erstattete. Plötzlich wurde sie als Beschuldigte vernommen. Bals’ Schlag war der zweite, den Reigl am Wahlabend erleiden musste, der erste soll auch von einem Nazi ausgeführt worden sein. Die Polizei ermittelte nicht, wie Reigl beklagte. Rechts-Anwalt Pieker nutzt den Doppelschlag aber aus: Die attestierten Verletzungen könnten nicht vom zweiten Schlag stammen, da der erste der heftigere gewesen sei.
So kann es gehen in Dortmund, der braunen Hochburg, in der militante Nazis vor laufenden Kameras über die Samthandschuhe spotten, mit denen sie hier angefasst werden. Auf den Zuschauerbänken saßen denn auch zwei Dortmunder Szenegrößen: Michael Brück und Siegfried »SS-Siggi« Borchardt, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »Keine Gewalt ist auch keine Lösung« trug, das nur teils von einer ärmellosen Weste bedeckt wurde. Dortmunder Normalzustand.
Das Programm der Partei »Die Rechte« fordert die »Ausweisung krimineller Ausländer«. Über Inländer schweigen die Nazis sich aus. Immerhin wenden sie sich gegen »Straßenterror« und fordern auch in diesem Zusammenhang schärfere Gesetze. Elf Eintragungen weist das Vorstrafenregister des »Rechte«-Aktivisten Lukas Bals auf, in sage und schreibe sieben Städten wurde er bereits verurteilt, das aktuelle erstinstanzliche Dortmunder Urteil nicht mitgerechnet. Seit 2008 ist eine kleinkriminelle Karriere aktenkundig. Es begann mit einer Verurteilung wegen acht Diebstählen, führte über Verstöße über das Versammlunsgrecht zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung in 2011.
Vier Wochen nach seiner Entlassung beging er ein Beleidigungsdelikt, ein Jahr nach seiner diesbezüglichen Verurteilung nahm er am Dortmunder Rathausstrum teil. Hinzu kommen drei Verurteilungen wegen Sozialbetrugs. Als die Richterin fragte, ob er eine in diesem Jahr verhängte Geldstrafe bereits abbezahlt habe, musst Bals nachfragen, welche der beiden die Juristin meine. Ein parallel verhandeltes Verfahren – er soll einen 17-Jährigen aus einer Gruppe von 30 Personen heraus bedroht und vor laufender Handy-Kamera gedemütigt haben – wurde eingestellt.
Wegen der Attacke auf Nadja Reigl wurde Bals, der im gesamten Prozess schwieg, zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Er muss Reigl zudem ein Schmerzensgeld in Höhe von 350 Euro zahlen – es liegt 50 Euro über der Bagatellgrenze von 300 Euro, unterhalb derer von Zahlung eines Schmerzensgeldes abgesehen wird. Der Staatsanwalt hatte eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, auszusetzen zur Bewährung, und eine Geldstrafe von 1000 Euro gefordert sowie 800 Euro Schmerzensgeld. Richterin Naujoks erschien das unangemessen hart.
Während Picker gut vorbereitet seine One-Man-Show abzog, war Richterin Naujoks nicht gut vorbereitet. Der Beginn der Verhandlung verzögerte sich, weil sie ihre Robe vergessen hatte. Beim Abspielen des Beweis-Videos erwies sie sich als nicht sehr technik-affin, insbesondere gelang es ihr nicht, das Video in Zeitlupe abzuspielen, was Picker zu seiner ganz persönlichen Höchstform auflaufen ließ. Die bewegten Bilder und die aus dem Video herausgelösten Einzelbilder waren aber auch so eindeutig, auch wenn später ein eigens herbeigeeilter Technik die Zeitlupe abspielte. Auf nachdrücklichen Wunsch des Angeklagten.
Aus dem Umfeld der Partei »Die Rechte« werden immer wieder Straftaten begangen, die jedoch selten zu Verurteilungen führen. Die Laschheit oder Fahrlässigkeit von Justiz und Polizei im Umgang mit kriminellen Nazis ist in Dortmund ein viel diskutiertes Thema, auch wenn sich am Missstand selbst nichts ändert.
Auch die Dortmunder Piraten sind immer wieder Opfer von rechtsextremen Anschlägen mit meist nicht zu ermittelnden Tätern. So wurden einem aktiven Mitglied Hakenkreuze an die Hauswand geschmiert und eine Geschäftsstelle beschossen. »An manchen Tagen«, sagte Nadja Reigl während einer Prozesspause, »schaue ich erstmal auf Twitter nach, ob meine Freunde alle noch leben.«
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