Ping-Pong-Spiel zu »Piatto«

Sperrerklärung an dem Münchner Gericht - Brandenburgs Verfassungsschutz verweigert im NSU-Fall eine offenbar wichtige Akte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Brandenburger Innenministerium verweigert dem Münchner Oberlandesgericht offenbar wichtige Hilfe für den NSU-Prozess. Die V-Mann-Akte von »Piatto« wurde gesperrt.

Der brutale Neonazi Carsten Szczepanski, alias »Piatto«, habe »als bundesweit einzige Informationsquelle« weiterführende Hinweise auf den Verbleib dreier flüchtiger Neonazis aus Thüringen geben. So rühmte sich der Brandenburger Verfassungsschutz nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) im November 2011.

Nun verwehrt der Geheimdienst dem Oberlandesgericht in München, das gegen Zschäpe und vier Helfer des NSU verhandelt, die Einsicht in eine offenbar wichtige Akte über ihren Nazi-Zuträger. Die Dokumente hatte ein V-Mann-Führer von »Piatto«, der als Zeuge aussagte und dabei - wie sein einstiger Schützling - ein ziemlich jämmerliches Bild abgab, als Gedankenstütze dabei. Reinschauen für andere verboten! Alles geheim, meinte der Beamte, der verkleidet auf dem Zeugenstuhl vor Wochen Platz im Gerichtssaal genommen hatte.

Da hatte er nicht damit gerechnet, dass die Geduld des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl endlich ist. Der ließ die Dokumente kurzerhand kopieren. Ohne reinzuschauen.

Nun ist jüngst im Münchner Justizgebäude ein achtseitiges Schreiben des Brandenburger Innenstaatssekretärs Matthias Kahl (SPD) angekommen. Auch wenn die zuständige Sprecherin des Oberlandesgerichts die Existenz des Briefes »weder bestätigen noch sonst kommentieren« kann, steht da unter anderem drin, dass die Akte tabu sei - gerade für das Gericht. Basta!

Kahl behauptet, »das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten (würde) dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten«. Die Formulierung, so werden Kenner ähnlicher Verweigerungsschreiben bestätigen, weicht ein wenig ab von üblichen Begründungen. Das Wohl des Bundes, das durch Brandenburg geschützt wird? Ein vermutlich notwendiger zweiter NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages wird wissen, wen man dazu befragen muss. Das Brandenburger Innenministerium übrigens bestreitet nicht, dass sein Staatssekretär so ein Verdikt - genannt Sperrerklärung - wider gerichtliche Aufklärung ausgesprochen hat. Doch Details des Schreibens könne man nicht bekannt geben, »da dieses nunmehr Bestandteil der Verfahrensakten ist. Über den Umgang mit den Verfahrensakten und ihren Inhalten bestimmt ausschließlich das für das NSU-Verfahren zuständige Gericht«, erklärte man gegenüber »nd«. Dabei weiß man natürlich um die Fesseln, die dem Gericht angelegt sind. Nur wenn das Schreiben »zu einem späteren Zeitpunkt zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung würde«, könnte man darüber etwas sagen, heißt es aus München. Ping ... Pong!

Kahl behauptet, die Unterlagen seien »geheimhaltungsbedürftig«, weil sie Rückschlüsse »auf die Beobachtungsintensität nachrichtendienstlicher Arbeit« zuließen und Schwerpunkte sowie Interessen »aller Verfassungsschutzbehörden« in der rechtsextremen Szene erkennen ließen. Auf vier Seiten würde konkret die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit anderen Sicherheitsbehörden beschrieben. Seit dem Auffliegen »Piattos« als Geheimdienstspitzel sind 15 Jahre vergangen. Was also könnte aktuelle Operationen gefährden? Und hatten die Dienste nicht allesamt behauptet, aus ihrem NSU-»Versagen« die richtigen Lehren gezogen zu haben?

Für die Landesregierung gebe es keinen plausiblen Grund, der es rechtfertigen könnte, dass Dritte Einblick in diese Unterlagen erhalten, schreibt Kahl. Es falle zudem ins Gewicht, dass wegen der Größe des Prozesses »eine unüberschaubare Vielzahl von Personen Einblick in diese Unterlagen erhalten würde (Nebenkläger)«. Diese Nebenkläger und ihre Rechtsanwälte, die sich in ihrer Masse höchst engagiert um die Aufklärung der angeblich vom NSU begangenen zehn Morde, der Bombenanschläge sowie der Banküberfälle kümmern, werden gerade diese Passage mit einigem Groll lesen.

Der kleinere rote Koalitionspartner in Potsdam hat von dem Schreiben des SPD-Innenstaatssekretärs erst aus der Zeitung erfahren, betonte der Innenexperte der Linksfraktion Hans-Jürgen Scharfenberg und versprach, sich umgehend um Aufklärung zu bemühen. Doch sei Kahls Chef und Parteifreund, Innenminister Karl-Heinz Schröter, im Urlaub.

Was nicht entscheidend ist, denn diese Brandenburger Verweigerungshaltung ist nicht neu. Mehrfach bestritt das Innenministerium - als es noch vom heutigen Regierungschef Dietmar Woidke geführt wurde - belegbare nd-Veröffentlichungen zu »Piatto«. Nicht nur die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die sich in Erfurt als Obfrau des dortigen NSU-Ausschusses einen Namen gemacht hat, meint zur jüngsten Potsdamer Blockade: »Teil der Vertuscher im NSU-Skandal zu sein, ist für eine rot-rote Regierung nicht nur peinlich, sondern unwürdig.«

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