Unterschätzte Gen-Schalter
Medizin- und Chemiepreis für Aufdeckung von Mechanismen, mit denen die Erbinformation in der Zelle umgesetzt wird
Gerade mal acht Jahre ist es her, da erschienen im Fachjournal »Nature« und in den »Proceedings« der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA zwei Arbeiten, die nun den Medizin-Nobelpreis brachten. Und die beiden Hauptautoren der Arbeiten, Craig Mello vom Howard Hughes Medical Institute (US-Bundesstaat Maryland) und Andrew Fire von der Stanford University (Kalifornien) gehen mit 45 bzw. 47 Jahren im Pantheon der Nobelpreisträger beinahe noch als jugendlich durch.
Den beiden US-Amerikanern bescherte eine Beobachtung am Fadenwurm Caenorhabditis elegans eine Erkenntnis, die unser Verständnis der Genetik revolutionierte. In den Zellen des Wurms fanden sie nämlich einen Mechanismus wieder, der bis dahin als eine Merkwürdigkeit der Pflanzengenetik zur Abwehr von RNA-Viren gegolten hatte. Dort - und nun eben auch in dem durchscheinenden Haustier der Genetiker - fanden sich nämlich doppelsträngige Moleküle der Erbsubstanz RNA. Diese sollte nach dem bisherigen Verständnis der Genetik eigentlich nur als Einzelstrang vorkommen - gebunden an die Erbsubstanz der Chromosomen, die chemisch verwandte DNA, oder aber an jene Eiweißkomplexe, die die Herstellung der Zelleiweiße besorgen.
Und überdies griff diese Doppelstrang-RNA (dsRNA) auch noch in den Produktionsprozess der »Eiweißfabriken« der Zelle ein, der so genannten Ribosomen. Die dsRNA sorgte nämlich dafür, dass bestimmte einsträngige Boten-RNA-Ketten aus dem Zellkern zerstört wurden, bevor sie zur Eiweißproduktion abgelesen werden konnten. Diesen Vorgang nannten Fire und Mello RNA-Interferenz. Anknüpfend an diese Pionierarbeit konnte der deutsche Biochemiker Thomas Tuschl an Fruchtfliegen den genauen Mechanismus aufklären, der dabei abläuft. Der Begründer des Berliner RNA-Netzwerks, Volker A. Erdmann, bedauert deshalb, dass Tuschl nicht mit zu den Geehrten zählt. Zumal der inzwischen in New York forschende Tuschl es 2001 auch erstmals schaffte, solche kurzen dsRNA-Schnipsel künstlich herzustellen und damit in menschlichen Zellen gezielt Gene abzuschalten.
Erdmann sieht sich durch die Preisverleihung allerdings in seinen großen Hoffnungen auf künftige medizinische Anwendungsmöglichkeiten der RNA-Interferenz bestätigt. So spiele diese eine wichtige Rolle bei der Tumorbildung und in der Embryonalentwicklung. Der Weg bis zu wirksamen Therapien dürfte allerdings noch recht lang sein, wie zwei jüngst veröffentlichte Studien zeigen, bei denen es zu unerwarteten Nebenwirkungen kam.
Für einen weiteren Schlüsselmechanismus bei der Übersetzung der in DNA codierten Gene für die Produktion von Zellbausteinen wurde in diesem Jahr der Chemie-Nobelpreis an Roger Kornberg (59) von der Stanford University vergeben. Kornbergs ausgezeichnete Leistung liegt sogar nur fünf Jahre zurück. Er beschäftigte sich mit einem Enzym, das entscheidend für das Ablesen der Gene und ihre Übersetzung in RNA ist: die RNA-Polymerase. Mit der Entdeckung der DNA-Polymerase, die das Erbgut bei der Zellteilung verdoppelt, errang 1959 bereits Kornbergs Vater den Medizin-Nobelpreis. Sein Sohn verfolgte die Produktionskette in der Zelle weiter. Dabei gelang es ihm, den gegenüber Bakterien komplexeren Ablesevorgang der Zellen höherer Organismen in Hefe aufzuklären und die RNA-Polymerase in atomarer Genauigkeit bei der Arbeit zu fotografieren. Dazu hatte er die Polymerase in verschiedenen Stadien des Kopiervorgangs kristallisiert und die Struktur der gebundenen Moleküle mit Hilfe der Röntgenstrahlkristallographie ermittelt. Dabei wurde deutlich, dass das Enzym eine Art Tasche bildet, in die nur das exakte RNA-Gegenstück zum jeweiligen DNA-Baustein passt. Wie lebenswichtig dieser Prozess ist, zeigt das Gift des Knollenblätterpilzes. Der blockiert die RNA-Po...
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