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Begegnung am Schnittpunkt der Zeit

»Kirchner malt Liebermann« - eine Kabinettausstellung im einstigen Liebermann-Domizil am Pariser Platz

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie hatten sich bisher nicht viel zu sagen gehabt, der aufstrebende Expressionist Ernst Ludwig Kirchner, der 1911 von Dresden nach Berlin übergesiedelt war, und Max Liebermann, der Meister des deutschen Impressionismus, der als erster Vorsitzender der Berliner Secession eine dominierende Position in der Berliner Kunstwelt besaß. Als Kirchner nach einem mehrjährigen Aufenthalt in der Schweiz 1926 wieder in Berlin weilte, suchte der Mittvierziger den 78-jährigen Liebermann, inzwischen Präsident der Berliner Akademie der Künste, in dessen Palais am Brandenburger Tor auf und schrieb über diese Begegnung: »Ich war beim alten Liebermann, der doch schon sehr alt wird und kaum mehr im Getriebe viel mitsprechen kann. Er ist komisch eitel, aber hat natürlich die Weisheit des Alters. Wenn man ihn sieht, versteht man viel von dem merkwürdigen, zerfaserten Berliner Kunstbetrieb. Hierher gehörte einmal eine feste Hand.«

Wohl während seines Besuches oder kurz darauf skizzierte Kirchner Liebermann in zwei flüchtigen Zeichnungen. In der einen umriss er den Kopf des Älteren mit wenigen markanten Strichen, in der anderen legte er die Komposition des Gemäldes fest, das er dann später in der Schweiz ausführte: »Max Liebermann am Pariser Platz« (1926, Öl auf Leinwand; der Verein der Freunde der Nationalgalerie hat es erst im vergangenen Jahr erworben). Es zeigt Liebermann im Musikzimmer seiner Wohnung im Gegenlicht, durch die Fenster ist der Pariser Platz mit dem Hotel Adlon zu sehen, von Straßenlaternen erleuchtet, die Lichtkreise auf die Fenster werfen in Form von abstrakten Bildkürzeln. In der Dämmerung des Zimmers, im Gegensatz zur leuchtenden Helligkeit des Hintergrundes, steht Liebermann in verkürzter Gestalt statuarisch, fast monumental - wie ein Bild im Bild - zwischen beiden Fenstern. Sein Kopf, den Kirchner in der Zeichnung nur als Umriss festhielt, wirkt jetzt sowohl dynamisch, aufmerksam, aber auch etwas karikaturenhaft, wie er oft in früheren Karikaturen wiedergegeben wurde. Das ist keine expressionistische Arbeit mehr, denn Kirchner hatte sich - spätestens seit 1923 - gewandelt und war zu einer abstrahierten, aus ineinander gefügten Farbflächen aufgebauten Malerei übergegangen. An die Stelle einer starken Tiefenwirkung waren eine lineare Parallelschichtung und eine architektonische Strenge getreten.

Dieser »Teppichstil«, wie die Ähnlichkeit der Bildfläche mit einem textilen Gewebe, einem großfigurigen Teppich- und Stoffmuster in einer Henri Matisse nicht unähnlichen Art und Weise in der Kirchner-Forschung bezeichnet wurde, muss als eine höchst eigenständige Weiterentwicklung Kirchners betrachtet werden. Dem Maler ging es um eine kubistische Simultaneität und Flächenintegration, die Vereinigung mehrerer Blickpunkte und Bildebenen, und in diesen synthetischen Bildprinzipien ist er damals unter den deutschen Künstlern am weitesten vorgedrungen. Mit einer kompakten Schwere, dann aber auch wieder einer konstruktiven Leichtigkeit, die den leuchtenden Farben und ihrem flächigen Eingebundensein entspricht, existieren die Formen gleichzeitig auf der Fläche und in der Tiefe.

Zweimal, 1915 und 1929 hat Kirchner auch das Brandenburger Tor gemalt. Im frühen Gemälde blickt man vom fast menschenleeren Pariser Platz auf das kulissenhaft aufgebaute, bedrohlich wirkende Bauwerk, das von einer (militärischen?) Fahrzeugkolonne durchquert wird, rechts mit dem Wohnhaus Liebermanns (das Bild ist unter dem Eindruck des Krieges und der beginnenden Lebenskrise Kirchners entstanden), während das späte Bild das Tor aus der entgegengesetzten Richtung, vom Tiergarten aus, das Liebermann-Haus jetzt links im Bild, zeigt. Hier herrscht reger großstädtischer Verkehr, doch sind die reduzierten Formen wie in Kirchners Liebermann-Bildnis als Bildkürzel in eine strenge musterartige Komposition eingebunden.

Auch bei Liebermann hat sich eine Veränderung in der Porträtdarstellung vollzogen, an der man immer wieder den »kammermusikalischen« Klang und die feine, intime Stimmung bewundern kann. 1915 stellte er sich noch lässig selbstbewusst, die Hände in den Hosentaschen, vor neutralem Hintergrund dar, während sein altersweises »Selbstbildnis mit Sportmütze an der Staffelei« (1925, Öl auf Leinwand) ihn mit wissendem Blick, sich selbst und den Betrachter prüfend, darstellt. Während Kirchner ihn eingebunden im »merkwürdigen, zerfaserten Berliner Kunstbetrieb« zeigt - als beharrendes, widerstehendes Monument - und der pulsierenden, gleißenden Außenwelt mindestens die gleiche Bedeutung beimisst wie der Innenwelt des gealterten Malers, sieht sich Liebermann selbst in seiner etablierten Position noch durchaus gewappnet gegenüber den Kämpfen der Zeit. Wir haben es hier mit programmatischen Künstlerbildern aus unterschiedlichen Positionen zu tun, im Schnittpunkt zweier Künstlergenerationen wie stilistischer Veränderungen und künstlerischer Wandlungen der zwanziger Jahre. Dabei hat Kirchner Liebermann in seine eigene Bildwelt integriert, dieser steht eigentlich - so Peter Klaus Schuster im Katalog - vor einem Bild von Kirchner. Beide, der Jüngere wie der Ältere, haben dem Künstler eine führende Stellung im Zeitgeschehen zugewiesen. Doch - auch das muss mit bedacht werden - 1935 starb der Jude Liebermann, verfemt und geächtet, und 1938 ging der einsam im Schweizer Exil lebende, von den Nazis als »entartet« bezeichnete Kirchner in den Freitod.

Diese kleine, exquisite Schau im Liebermann-Haus am Brandenburger Tor lässt den Betrachter vielfältige Entdeckungen machen und überraschende Vergleiche ziehen.

Kirchner malt Liebermann, Stiftung Brandenburger Tor, Max-Liebermann-Haus, Pariser Platz 7. Nur noch bis zum 30. August, Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa u. So 11-18 Uhr. Katalog 12 Euro.

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