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Die Dialektik des Klassenkampfs ist kein Zuckerschlecken

Wenn die SYRIZA scheitert, muss die Bewegung ran: Daniel Knopp schlägt vor, das OXI-Lager in Europa zu sammeln

  • Daniel Knopp
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Linke spaltet sich. Auch außerhalb Griechenlands steht dabei die Frage im Zentrum, ob die Tsipras-Regierung uns betrogen hat und ob wir sie (weiterhin) unterstützen oder wenigstens ideologisch verteidigen müssen. Und, neuerdings, wie wir es mit der SYRIZA-Abspaltung »Volkseinheit« halten.

Die Welt ist nicht nur Wille und Vorstellung. SYRIZA ist an der Massivität und Kompaktheit des europäischen Blocks an der Macht gescheitert. Die Kräfteverhältnisse in der EU und speziell in der Euro-Gruppe haben kein besseres Ergebnis zugelassen. Das Kalkül von SYRIZA, auf interne Widersprüche des Machtblocks zu setzen, ging nicht auf. In diesem Sinne gibt es keinen Betrug, sondern es ist eine Niederlage zu verzeichnen, die auch und vor allem unsere ist: die der europäischen Linken. Gleichzeitig muss sich eine hiesige Bewegungslinke auf die Seite der Bewegungen und Basisinitiativen in Griechenland stellen, sonst braucht es sie nicht. Bewegungspolitik in Griechenland wird sich in der kommenden Zeit gegen die Implementierung der Memorandenpolitik durch SYRIZA zur Wehr setzen müssen. Im konfliktiv-kooperativen Verhältnis zwischen Bewegung und Partei folgt auf die Kooperation wieder der Konflikt. Für SYRIZA wird das eine schwere Zeit werden, weil es nach der Spaltung im Parlament, die die sogenannte »Volkseinheit« hervorgebracht hat (und evtuell auch noch eine zweite Abspaltung hervorbringen wird), auch eine Spaltung an der Basis gibt. SYRIZA hat viele Basisaktivist_innen in ihren Reihen. Sie alle werden eine schwere Entscheidung treffen müssen. Die Dialektik des Klassenkampfes ist kein Zuckerschlecken.

Der Autor

Daniel Knopp ist organisiert in der Interventionistischen Linken (iL) und aktiv im Blockupy-Bündnis.

Hoffnung und Enttäuschung

SYRIZA hat mit ihrem Wahlsieg Ende Januar einen Prozess der Hoffnung in Gang gesetzt. Eine alternative Politik in Europa schien wieder möglich. Beim Referendum vom 5. Juli haben fast 62 Prozent für ein »OXI« gestimmt. Hier wurde deutlich: Es befindet sich eine Gesellschaft in Bewegung, die gegen die Austeritätspolitik und für eine Rückgewinnung ihrer Würde zu kämpfen bereit ist. Das wäre ohne die SYRIZA nicht zu haben gewesen. Die Partei hat den Konflikt auf eine neue Stufe gehoben, neue Handlungsräume und -möglichkeiten erschlossen. Sie stand für diese Hoffnung und war deshalb so wichtig.

Eine linke Offensive in Europa wurde durch das Verhandlungsergebnis jedoch ausgebremst und verhindert, bevor sie richtig beginnen konnte. Das macht die Niederlage so bitter, so tragisch. In gewisser Weise sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt.

Die Lösung des Problems liegt nicht in Griechenland

Der Ausgang der Erpressungsverhandlungen hat aber eines sehr deutlich werden lassen: Deutschland ist zum imperialen Zentrum der EU geworden. Das finden die einen gut und die anderen schlecht, aber dass es so ist, kann kaum noch jemand bestreiten.

Bei aller darin liegenden Tragik markiert die Niederlage damit auch einen Bruch und zieht eine Konfliktlinie: Die vermittelnde Mitte, die zumeist mit dem Argument operiert hat, dass bei aller konkreten Negativität der neoliberalen EU, sie trotzdem im Kern ein fortschrittliches Projekt gegenüber dem Zeitalter der Nationalstaaten sei, hat sich abgeschafft. Mit Griechenland wurde bei den Verhandlungen so umgegangen wie es die nördlichen Industriestaaten normalerweise nur mit Staaten des globalen Südens zu tun belieben. Einerseits ist das also eigentlich nichts Neues, weil es im Grunde eine ähnliche Konstellation bedeutet wie die in den 90er Jahren, die auch die globalisierungskritische Bewegung hervorgebracht hat. Gleichzeitig aber hat es auch etwas Beängstigendes, weil nun Zentrum-Peripherie-Verhältnisse innerhalb der EU deutlich zutage treten und auch als solche behandelt werden.

In der Konsequenz bedeutet das auch, dass die Lösung des Problems nicht in Griechenland liegt. Selbst ein Wahlerfolg der neuen »Volkseinheit«, so unwahrscheinlich er auch sein mag, würde erstmal nichts an der Kräftekonstellation innerhalb der EU ändern. Und wenn das stimmt, dann ist letztlich die Entwicklung und Spaltung SYRIZAS sowie die Frage, ob Tsipras ein Betrüger ist oder nicht, gar nicht mehr so interessant, wie es sich zunächst anhört.

Die kommenden Herausforderungen

In der Frage, ob ein anderes Europa möglich ist, geht es nicht nur um Griechenland und den Bruch mit oder die Fortführung der Austeritätspolitik. Die Gefahr, dass die EU nach rechts kippt, ist mittlerweile akut. Das rechte Lager formiert sich neu und die Flüchtlingspolitik funktioniert derzeit als ein wesentlicher Träger dieser Entwicklung. Die Bewegungslinke muss sich dabei bewusst machen, dass auch diese Frage, so wichtig die konkrete Unterstützungsarbeit vor Ort und der Schutz der Geflüchteten und ihrer Unterkünfte ist, als europaweites Kampffeld begriffen und dementsprechend behandelt werden muss. Auch an der »Flüchlingsfrage« zeigt sich ganz deutlich, dass der Konsens der gesellschaftlichen Mitte starken zentrifugalen Kräften ausgesetzt ist und sich zwei Lager, die rechtspopulistische Alternative (PEGIDA, AfD, »besorgte Bürger«) und das, was die »humanitäre Option« genannt werden könnte, in einem Kampf um die Deutungs- und Meinungshoheit befinden.

Blockupy und Movement-Building in Europa

Die gesellschaftliche Linke wird bei diesen Polarisierungsprozessen die große Verliererin sein, wenn sie es nicht schafft, das diffuse und breit gestreute Lager der humanitären Option, von der Willkommensinitiative in Hinterposemuckel über Teile der Kirche und Menschenrechts-NGOs bis hin zur radikalen Linken, zu einem Block zu formieren. Das gilt auch für das Lager des OXI: Die Bewegungslinke muss ihren Teil zu einer erfolgreichen gesellschaftlichen Blockbildung beitragen. Es geht um die Europäisierung des OXI und der humanitären Option und es geht um die Artikulation einer gemeinsamen Haltung. Das rechte Lager in Europa formiert sich neu. Es ist unsere Aufgabe, an der Formierung des linken Lagers zu arbeiten. Es in seiner Breite handlungsfähig zu machen, ist das Gebot der Stunde.

Blockupy kann darin eine produktive Rolle spielen, wenn es mehr als bislang die Nähe und inhaltliche Verknüpfung mit anderen europäischen Themen und Mobilisierungen, wie der Anti-TTIP-Demo am 10. Oktober in Berlin oder der Mobilisierung nach gegen den EU-Gipfel in Brüssel sucht. Im Frühjahr 2016 wird Blockupy nach Berlin umziehen und eine weitere europäische Mobilisierung anvisieren. Eine europaweite OXI-Kampagne braucht viele Zentren und Akteure.

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