Behörden schießen sich auf Schleuser ein
Statt sichere Fluchtwege zu schaffen: Mehr Polizei, mehr Kontrollen / Linke, Grüne und UN-Generalsekretär fordern stattdessen legale Einreisemöglichkeiten
Berlin. Politik und Behörden nehmen immer stärker die Schleuser von Flüchtlingen ins Visier - statt wie von der Opposition gefordert endlich mehr sichere und legale Fluchtwege nach und durch Europa zu schaffen, welche das Geschäft mit der Flucht überflüssig machen würden.
Die Bundespolizei hat laut einem »Bild«-Bericht zwischen Jahresbeginn und Ende Juli bei Kontrollen im grenznahen Bereich und in Zügen insgesamt 1.785 mutmaßliche Schleuser festgenommen. Dies seien rund 83 Prozent der im Gesamtjahr 2014 festgenommenen Schleuser. Im vergangenen Jahr hatten die Bundespolizisten dem Bericht zufolge insgesamt 2.149 Schleuser gefasst. Mit 227 Fällen die größte Gruppe der festgenommenen Schlepper in diesem Jahr seien Täter aus Ungarn. Die mit 147 Fällen zweitgrößte Gruppe kommt demnach aus Rumänien, die drittgrößte Gruppe aus Serbien (110 Fälle), die viertgrößte Gruppe aus Syrien (108 Fälle) und die fünftgrößte Gruppe stamme aus Bulgarien (101 Fälle).
Der Vorsitzende der Innenminister-Konferenz, der SPD-Politiker Roger Lewentz, forderte derweil einen noch verstärkteren Einsatz der internationalen Polizeibehörden Interpol und Europol gegen Schleuser. Bei denen handele es sich um »international agierende Banden«, sagte der rheinland-pfälzische Politiker der »Welt«. Diese organisierte Kriminalität könne bekämpft werden, »wir müssen es nur wollen«, mahnte Lewentz. »Das heißt aber auch: Mehr Personal, mehr Geld, und zwar schnell.«
Nach dem Fund von 71 vermutlich erstickten Flüchtlingen in einem Lkw in Österreich will auch die Regierung in Wien an der Grenze gründlicher nach Schleusern fahnden. An allen wesentlichen Grenzübergängen im Osten werden Fahrzeuge mit möglichen Verstecken für Asylsuchende bis auf weiteres angehalten und kontrolliert, sagte die konservative Innenministerium Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Sonntag. Die Maßnahmen seien mit Bayern, Ungarn und der Slowakei abgestimmt.
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte mit Nachdruck, legale und sichere Fluchtwege zu schaffen. Auch die Thüringer Grünen-Politikerin Astrid Rothe-Beinlich beklagte, »die Europäische Union hat den Friedensnobelpreis bekommen, und wir schaffen es nicht zu garantieren, dass Flüchtlinge hier lebend ankommen«. Es müssten legale und sichere Fluchtwege nach und in Europa eröffnet werden. Ähnlich hatte sich der Sprecher der Grünen Jugend, Erik Marquardt, bereits im »nd« geäußert. »Es ist also unverantwortlich, dass sie sich kriminellen Schleppern anvertrauen, diese gefährlichen Bootsfahrten auf sich nehmen müssen und danach weiter gezwungen sind, Fluchtrouten einzuschlagen, auf denen sie um ihre körperliche Unversehrtheit bangen müssen«, sagte Marquardt. »Wichtig wären also sichere und legale Fluchtwege nach Europa.«
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke nannte es »erschreckend und beschämend«, wie die europäische Politik »jegliche Mitverantwortung für den Tod der Flüchtlinge« an den Grenzen von sich weist »und die Schuld daran allein den 'kriminellen Schlepperbanden' zuschiebt. Schließlich bildet gerade die europäische Flüchtlingspolitik die eigentliche Voraussetzung und Basis für die organisierte Fluchthilfe durch Schlepper, indem sie auf Abschottung und Abschreckung setzt«, sagte die Bundestagsabgeordnete. Erst die Verweigerung legaler Einreisemöglichkeiten durch die EU bringe Flüchtlinge dazu, »sich in ihrer Not kriminellen Schleppern anzuvertrauen und für ihre Flucht teuer mit Geld oder ihrem Leben bezahlen zu müssen«. Auch Jelpke forderte die Schaffung legaler und sicherer Einreisemöglichkeiten.
Was bei den nun geforderten verstärkteren Einsätzen gegen Schleuser passieren kann, hatte sich am Wochenende in der Ägäis gezeigt, als bei einer Schießerei zwischen einem Patrouillenboot und Schleusern ein 17-jähriger Migrant getötet wurde. Zu der Schießerei zwischen der Besatzung eines Bootes der EU-Grenzschutzagentur Frontex und Bewaffneten auf einem Schleuserboot kam es vor der kleinen griechischen Insel Symi.
Unterdessen wächst in Griechenland die Zahl der Zufluchtsuchenden weiter. Allein am Samstag sind nach Berichten örtlicher Medien 4.000 Migranten an Bord von rund 100 Booten aus der Türkei auf der Insel Lesbos angekommen. Griechische Fähren bringen täglich Tausende Migranten zum Festland. Fast alle wollen nach Westeuropa. Agenturen/nd
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