Australiens vergessene Kinder
Empörung über Zustände in Asyllagern / Vergleich mit US-Gräueln von Abu Ghoreib
Alanna Maycocks Stimme bebt, wenn sie an ihren Besuch im australischen Internierungslager für Flüchtlinge auf der Insel Nauru zurückdenkt. »Die Menschen werden dort nicht beim Namen, sondern nach ihrer Nummern aufgerufen - zu viele Mohammeds, sagt ein Aufseher. Die Leute werden dort nicht wie Menschen behandelt«, sagt die Kinderkrankenschwester aus Sydney. »Wir haben ein sechsjähriges Mädchen mit Würgemalen am Hals gesehen - sie hatte versucht, sich mit einem Plastikkabel umzubringen.«
Die Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Kellie Tranter ist so entsetzt, dass sie von »Australiens Abu-Ghoreib-Moment« spricht - in Anlehnung an den Folterskandal in einem Gefängnis in Irak, wo US-Soldaten Gefangene quälten. Er kam 2004 ans Licht. Der Wachmann John Nichols sprach vor einem Parlamentsausschuss sogar von »Waterboarding«, simuliertem Ertränken, im Lager auf Nauru. Diese Foltermethode praktizierte der US-Geheimdienst CIA unter der Regierung von George W. Bush. Er sei nicht selbst dabei gewesen, räumte Nichols ein, aber er habe die pitschnassen Flüchtlinge aus einem Zelt mit Wachen kommen sehen. »Sie haben Wasser gespuckt.« Er habe auch angekettete Gefangene gesehen. Maycock sah nach eigenen Angaben, wie ein Mann geschlagen wurde. Der Kinderarzt David Isaacs ringt im Fernsehen mit den Tränen, als er über die Zustände auf Nauru spricht. »Nach fünf Tagen bin ich mit Albträumen zurückgekehrt«, sagt er. »Wir behandeln diese Menschen mit unglaublicher Grausamkeit. Unsere Regierung misshandelt die Kinder in unserem Namen.« Frauen hätten von Vergewaltigungen berichtet.
Was ist da los? Seit Jahren lässt Australien Asylbewerber, die mit Flüchtlingsbooten kommen, nicht ins Land. Stattdessen bezahlt die Regierung arme Nachbarländer dafür, Internierungslager für sie zu unterhalten. Die konservative Regierung hat ihre Politik noch einmal verschärft: Die Marine zwingt nun alle Boote zur Umkehr. Beamte dürfen nicht mehr Asylsuchende sagen, sondern müssen von »illegalen Ankömmlingen« sprechen. Entsprechend werden die Leute hinter Stacheldraht gehalten. Die Zustände in den Lagern sollen sich in den Ländern, aus denen Flüchtlinge kommen - Afghanistan, Irak, Myanmar - durchaus als Abschreckung herumsprechen.
Kann ein aufgeklärtes Land wie Australien sich so eine Politik leisten? Viele Australier meinen: nein. »Ich muss den Mund aufmachen, ich habe das Gefühl, ich bin die einzige Stimme, die diese Kinder haben«, sagt Maycock. Auch wenn die Regierung versuche, Besuchern von Nauru einen Maulkorb zu verhängen. Unter Strafandrohung darf niemand ohne Genehmigung über die Zustände berichten. 40 Ärztinnen, Pfleger, Lehrerinnen und Sozialarbeiter schreiben in einem Protestbrief: »Es ist ethisch nicht vertretbar, bei Kindesmissbrauch und schweren Menschenrechtsverletzungen einfach nur zuzusehen.«
Auch die australische Menschenrechtskommission hat die Situation in mehreren Internierungslagern drastisch beschrieben. In ihrem Bericht »Die vergessenen Kinder« zitiert sie einen 17-Jährigen in einem Lager auf der Weihnachtsinsel: »Ich habe keine Hoffnung mehr. Ich fühle, dass ich in Gefangenschaft sterben werde.« Eine Mutter von drei Kindern fleht Besucher an: »Nehmt die Kinder mit; uns könnt ihr hierbehalten. Sie weinen den ganzen Tag. Die Traurigkeit quält sie.« »Es ist wie Gefängnis. Ich habe nur noch Gott«, so eine 17-Jährige.
Die Professoren Suvendrini Perera und Joseph Pugliese sprechen von »Australien und seinen pazifischen Gulags«. Außer in Nauru gibt es noch Lager auf der weit abgelegenen, aber zu Australien gehörenden Weihnachtsinsel und auf der Insel Manus in Papua-Neuguinea. Die Regierung habe ihre Verantwortung für die Menschen ausgelagert und lasse Gewalt gegen Menschen zu, die sich nichts hätten zu Schulden kommen lassen. Der Ruf der USA, die sich als gerechte Nation mit ethnischen Grundsätzen sähen, sei durch die Folterenthüllungen schwer geschädigt worden. »Australien ist auf demselben Weg«, meinten sie. dpa
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