Das Bild des toten Aylan
Tom Strohschneider über europäische Werte, moralische Entlastung und eine »Flüchtlingskrise«, die in Wahrheit eine Krise Europas ist
Ein totes Kind, ertrunken auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien in das sicher scheinende Europa. Ein kleiner Körper, leblos angespült an den Strand: Am Mittwoch haben die Fotos des dreijährigen Aylan viele erschüttert. Die Betroffenheit war groß, eine Debatte über die Rolle von Bildern und die Grenzen des Journalismus hob an, Politiker äußerten sich - und auch die »Bild«-Zeitung, der nie eine Diffamierung von Asylsuchenden zu schäbig war, druckt nun Sätze, in denen die europäischen Werte hochgehalten werden.
Europäische Werte? Die Grundrechte-Charta ist eigentlich noch nicht so alt, als dass man es in Erinnerung rufen müsste. »Jede Person hat das Recht auf Leben«, heißt es da gleich zu Beginn. Europa gründe sich auf die »unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität«. Man muss nicht das Bild des ertrunkenen Aylan gesehen haben, um den Graben zu erkennen, der zwischen d...
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