Der Flüchtling als Fressfeind
Elmar Brähler über Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland
nd: Heidenau, Freital, Salzhemmendorf: Fast täglich gibt es Meldungen über rechtsextreme Übergriffe und Anschläge. Ihre seit 2002 vorgenommene Langzeitstudie zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland weist allerdings zuletzt einen signifikanten Rückgang entsprechender Einstellungen aus. Unterliegen wir angesichts der Gewalttaten einer optischen Täuschung?
Tatsächlich sank in unserer Umfrage 2014 gegenüber 2012 die Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen von etwa 25 auf rund 18 Prozent. Was wir als ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild bezeichnen, ging von bundesweit neun auf etwa 5,5 Prozent zurück. Beides sind aber noch immer hohe Werte. In Sachsen-Anhalt äußerte 2014 jeder zweite Befragte ausländerfeindliche Haltungen, im Durchschnitt seit 2002 sind es in etwa 40 Prozent.
Speziell beim Merkmal »Ausländerfeindlichkeit« weist ihre Studie aber bundesweit für 2014 den mit Abstand niedrigsten Wert seit 2002 aus. Wie erklärt sich das?
Es ist festzustellen, dass solche Einstellungen stark mit der Wirtschaftslage korrespondieren, die sich zuletzt zumindest im Durchschnitt verbessert hat. Möglicherweise hat 2014 auch der Ukrainekonflikt eine Rolle gespielt: Der Feind wird wieder mehr im Äußeren vermutet.
Also reiten die Gewalttäter und Hetzer, anders als sie selbst vielleicht denken, nicht auf einer Welle allgemeinen Volkszorns?
Es gab in der Umfrage von 2014 auch regionale und gruppenspezifische Besonderheiten, die dem rückläufigen Trend widersprachen, zum Beispiel die Feindschaft gegenüber dem Islam und gegenüber Sinti und Roma - etwa in Großstädten in Nordrhein-Westfalen. Auch die Haltung, es dürfe beim Asylrecht keine Milde geben, war schon 2014 stark vertreten. Tatsächlich lässt sich von einer steigenden Anzahl von Gewalttaten nicht automatisch auf eine steigende Verbreitung ausländerfeindlicher Haltungen im Bevölkerungsdurchschnitt schließen. Dennoch können ereignishafte Zuspitzungen Konjunkturen nach sich ziehen. Angesichts der jetzigen Situation ist zu erwarten, dass die Ausländerfeindlichkeit in der nächsten Umfrage wieder ansteigt.
Viel diskutiert wird jetzt wieder, dass und warum Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern viel verbreiteter ist als in der alten Bundesrepublik.
Das ist auch der Fall, wobei man sagen muss: in den neuen Bundesländern und in Bayern. In Bayern zeigten sich seit 2002 konstant sehr hohe Werte, im Durchschnitt ist Bayern nach Sachsen-Anhalt das ausländerfeindlichste Bundesland.
Bayern ist reich. Widerspricht das nicht Ihrer These vom Zusammenhang mit der Wirtschaftslage?
Über Bayern kann man nur spekulieren. Bayern hat eine sehr eigene Identität, dort scheinen gesellschaftliche Diskussionen oft etwas anders zu laufen. Es gibt dort weniger »Politische Korrektheit«, Vorurteile werden ungehemmter geäußert und verstärken einander. Das erinnert an das angrenzende Österreich, wo ausländerfeindliche Meinungen präsenter sind als in der Bundesrepublik.
Wie erklären Sie sich nun das Ost-West-Gefälle? Welche Rolle spielt die DDR-Erfahrung?
Immer wieder bestätigt sich die Kontakthypothese: Dort, wo wenige Einwanderer leben, ist paradoxerweise die Ablehnung besonders ausgeprägt. Die vergleichsweise homogene Bevölkerungszusammensetzung in den neuen Ländern hat viel damit zu tun, dass die DDR in viel geringerem Maß ein Einwanderungsland war als die Bundesrepublik und Integration kaum stattfand. Das gilt nicht nur für die sogenannten Vertragsarbeiter. Auch internationale Studierende wurden beargwöhnt. Es gab durchaus verbreitete Vorbehalte gegenüber Ausländern. Eine Rolle gespielt hat auch, dass die Rote Armee nach dem Krieg viel mehr Abstand zur Bevölkerung hielt als etwa die amerikanischen Truppen im Westen. Die nahmen schon mit der Musik ihrer Soldatensender großen Einfluss auf die Jugend. Im Osten gab es auch keine Afroamerikaner als Vertreter der Sieger …
Die DDR hat aber nur 40 Jahre existiert und ist schon mehr als halb so lange Geschichte. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte kürzlich, es gehe um die Nachwendezeit: Die Bürger im Osten hätten sich viel aufgebaut, jetzt hätten sie Angst darum.
Dennoch können solche Erfahrungen lange nachwirken. Aber die 25 Jahre nach der Wende spielen natürlich eine große Rolle, aus meiner Sicht aber etwas anders. Die Nachwendezeit im Osten war für viele auch mit Gefühlen von Enttäuschung und Entfremdung verbunden. Es gab die Empfindung, es sei eine Verfassung übergestülpt worden, es gab viel soziale Mobilität nach unten. Es gab die Treuhandgeschichten, die Erfahrung, dass sich Eigentum in westlichen Händen konzentriert, es gab die importierten Westeliten. So etwas kann sich gegen »Fremde« wenden.
Der Osten als Opfer. Reicht das als Erklärung?
Eine umfassende Erklärung wird es kaum geben. Ich will aber noch einen nüchternen Umstand anführen: die Abwanderung. Wir haben für den Jahrgang 1973 ermittelt, dass 40 Prozent schon im Westen gelebt haben, 30 Prozent sind dauerhaft dort! Im Osten bleibt in manchen Landstrichen eine recht homogene Gruppe schlecht ausgebildeter Männer zurück, die besonders zu solchen Einstellungen neigt. Das führt in Umfragen zu einer erheblichen Verzerrung. Außerdem hatte die Ausbreitung und Verfestigung rechtsextremer Einstellungen etwa in Sachsen oder Thüringen nicht wenig mit einem eklatanten Versagen der Behörden zu tun.
Derzeit gibt es Flüchtlingen gegenüber einen viel freundlicheren Medientenor als etwa in den 1990er Jahren. Zugleich wird aber wieder über Verschärfungen des Asylrechts diskutiert. Wie wirken so widersprüchliche Signale?
Derzeit ist die Lage auch sehr widersprüchlich. Es gibt wirklich viel Engagement und Verständnis, aber auch viel Ressentiment wie bei Pegida. Es gibt eine soziale Spaltung und manche derjenigen, die unten stehen, sehen Flüchtlinge als Fressfeinde. Wie sich das mittelfristig weiterentwickelt, wird vielleicht unsere nächste Studie beantworten.
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