Die Macht des Digitalen
Die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates (IS) haben in dieser Woche erneut antike Anlagen im syrischen Palmyra gesprengt. Ihre Absicht ist klar: Die Vernichtung der Artefakte soll jene aus dem Gedächtnis der Menschen löschen. Mit dem Kulturvandalismus des IS wollen sich findige Ingenieure allerdings nicht abfinden. Sie planen, die zerstörten, jahrhundertealten Objekte mit Hilfe von 3D-Druckern zu rekonstruieren. Künftig sollen bei Ausgrabungen die historischen Anlagen mit 3D-Kameras fotografiert werden und mit den so gewonnenen Daten große industrielle 3D-Drucker gefüttert werden. Manche Wissenschaftler gehen sogar noch einen Schritt weiter. Sie wollen die Programme auch online verfügbar machen, so dass jeder mit einem 3D-Drucker auch kleinere zerstörte oder bedrohte Artefakte massenweise reproduzieren kann.
Der Philosoph Walter Benjamin hat in »Das Kunstwerk in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit« (Benjamin bezog sich auf das damals neue Medium Film) diese Entwicklung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorausgeahnt. Durch die Reproduktion des Originals verliere dessen Einmaligkeit an Autorität. Der »Kultwert« des Kunstwerks werde zum »Ausstellungswert«.
Die IS-Kämpfer hängen einer archaischen Vorstellung an. Sie meinen, mit der physischen Zerstörung eines Artefaktes sowohl dessen Einmaligkeit als auch dessen Reproduktionsmöglichkeit vernichtet zu haben. Laut Walter Benjamin haben die modernen Reproduktionsmöglichkeiten in der Kunst aber eine negative wie eine positive kathartische Seite. Die Erschütterung der Tradition ist zugleich »Kehrseite der gegenwärtigen Krise und Erneuerung der Menschheit«. Wie mächtig diese positive Seite ist, zeigt die Entwicklung des 3D-Druckers und seiner - bislang nur angenommenen, aber eben nicht mehr hypothetischen Fähigkeit, ganze Tempel »nachzudrucken«.
Im Zusammenhang mit der digitalen Technik und den neuen Medien ist vielfach die Rede vom »virtuellen Raum«; dies ist allerdings eine rückwärtsgewandte Sicht. Nichts Virtuelles schafft der 3D-Drucker. War die Zivilisation, die vom Menschen geschaffene Umwelt und von ihm produzierten Kulturgüter die »zweite Natur«, so schafft der Mensch sich künftig mit Hilfe des Druckers eine »dritte Natur«, indem er sozusagen die zweite Natur reproduziert. Was ist schon der Sprengstoff der archaischen Maschinenstürmer gegen die Macht des Digitalen. jam Foto: AFP/Joseph Eid
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