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Koalition setzt auf »schnelle Abschiebung«

Treffen am Sonntag soll neuen Umgang mit Flüchtlingen festlegen / In den Plänen ist das alte Herangehen sichtbar

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Deutschland hat nicht nur alle Hände voll zu tun, um Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen, sondern bemüht sich verzweifelt, von der EU-Flüchtlingspolitik zu retten, was zu retten ist. Vergeblich.

Wenn am Sonntag der Koalitionsausschuss in Berlin zusammentritt, blickt er auf die Trümmer der deutschen Flüchtlingspolitik der letzten 25 Jahre. Bedingt ist das Scheitern vor allem damit, dass die von Deutschland inszenierte Drittstaatenregelung, in ihrem Kern besser bekannt als Dublin-Verfahren, am Ende ist. Flüchtlinge müssen ihren Asylantrag in dem Land stellen, in dem sie die EU erreichen. Das Gesetz ist an den Realitäten der zerfallenden Staaten im Nahen und Mittleren Osten zerbrochen, die Menschen lassen sich nicht mehr von den bürokratischen Hürden aufhalten, die die EU an ihren Außengrenzen errichtet hat. Die vielen Todesopfer, den Weg der Flüchtlinge säumen, setzen die EU unter moralischen Druck. Den Flüchtlingen wirksam Einhalt zu gebieten wäre nur, wenn man die Freizügigkeit der Schengen-Regelungen rückgängig machen würde.

Die Zahl der Ankömmlinge in Deutschland wächst nun sprunghaft, und die Politik, die bereits eine Zahl von mehr als 800 000 bis zum Jahresende prognostiziert hat, beginnt zu reagieren. Die Spitzen der Koalition haben konkrete Fragen zu beantworten - der Konkurrenzdruck zwischen Union und SPD mag hier sogar die Entscheidungen beflügeln. Die SPD war in den letzten Tagen mit öffentlichen Auftritten ihrer Vorleute in die Offensive gegangen und hatte ein Vorstandspapier vorgelegt, in dem mehr als drei Milliarden Euro an Finanzhilfen aus dem Bundeshaushalt für Länder und Kommunen verlangt werden. Auch die Bundeskanzlerin kündigte an, dass der Bund deutlich mehr Mittel bereitstellen werde - als Teil einer »nationalen Kraftanstrengung«. Auch in einem weiteren Ziel sind sich die Koalitionspartner einig. Die asylberechtigten Bewerber von denen zu trennen, die keine Aussicht auf Anerkennung ihrer Fluchtgründe hätten, diese Rechnung wird von beiden Seiten aufgemacht. Abschiebungen sollen dadurch schneller vonstatten gehen, und der Vorwurf, die »unbegründeten Asylanträge« dürften es eigentlich gar nicht bis ins Asylverfahren schaffen, schwingt zuweilen auch hörbar mit.

Immerhin haben sowohl SPD-Chef Sigmar Gabriel wie der Fraktionschef der Union im Bundestag, Volker Kauder, klargestellt, dass eine Änderung des Asylrechts nicht in Frage komme. Jedoch sehen Kritiker wie die Innenexpertin der LINKEN Ulla Jelpke bereits einen Frontalangriff nahen und verweisen auf einen 12-Punkte-Plan, mit dem die Union am Sonntag in die Koalitionsrunde geht. Darin findet sich neben der bekannten Forderung nach Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten auf den gesamten Westbalkan auch der Plan, Asylbewerber erst nach ihrer Anerkennung als Schutzwürdige aus der Erstaufnahmeeinrichtung weiterzuleiten, anderenfalls soll von dort direkt die Abschiebung erfolgen. Die Ersetzung von Bargeld durch Sachleistungen wird befürwortet, falsche Anreize zur Flucht nach Deutschland sollen vermieden werden - als Beispiel wird die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber genannt.

Untätig ist die Bundesregierung auch bisher nicht. Abgesehen von 400 Bundeswehrsoldaten, die zur »Amtshilfe« bei der Bearbeitung von Asylanträgen eingesetzt wurden, abgesehen auch von den Bemühungen auf EU-Ebene, eine Regel zur Verteilung der Flüchtlinge auf alle Länder durchzusetzen - Deutschland unterstützt afrikanische Ländern wie Libyen, Tunesien, Mali oder Niger beim Ausbau von Grenzpolizeistationen und Grenzanlagen. Eine Vorverlagerung der EU-Außengrenzen in die Sahel-Region sieht darin der LINKE-Abgeordnete Andrej Hunko.

Diese Pläne atmen den unveränderten Geist der bisherigen Flüchtlingspolitik und bauen damit auf die erneute Verlagerung der Abschottungsmechanismen in die Peripherie der EU. Ein Problem hat sich die Koalition für späteren Streit aufgehoben: Um ein Einwanderungsgesetz soll es am Sonntag nicht gehen, teilte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann am Freitag mit. Auch wenn dieses inzwischen zur Gretchenfrage in den Debatten über den langfristigen Kurs Deutschlands in der Migrationspolitik wird. Die Vertagung zeugt davon, dass hierüber von den Regierungspartnern keine schnelle Einigung erwartet wird.

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