Willkommen am Hauptbahnhof

Flüchtlinge erleben in München große Hilfsbereitschaft, ehrenamtliche Helfer prägen diesen ersten Eindruck

  • Zug um Zug nimmt die Zahl der auf dem Münchner Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlinge zu. Am Wochenende allein waren es 20 000. Am Montag wurden weitere 10 000 erwartet. Von Rudolf Stumberger, München
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Zug um Zug nimmt die Zahl der auf dem Münchner Hauptbahnhof ankommenden Flüchtlinge zu. Am Wochenende allein waren es 20 000. Am Montag wurden weitere 10 000 erwartet.

Von Rudolf Stumberger, München

Normalerweise warten auf dem Platz neben dem Münchner Hauptbahnhof die Taxis auf Fahrgäste. Von hier startet auch der Shuttle-Bus zum Flughafen. Doch seit dem Wochenende stehen an dieser Stelle mehrere weiße Zelte mit der Aufschrift »Medizinisches Katastrophen-Hilfswerk Deutschland«, der Platz ist durch Sperrgitter und von der Polizei abgeschirmt. Seit Freitagabend sind 20 000 Flüchtlinge mit Zügen aus Budapest angekommen, für diesen Montag werden weitere 10 000 erwartet.

Auch jetzt bewegt sich in der Absperrung eine Gruppe Menschen in Richtung der wartenden Busse, einige haben eine Decke um die Schultern, über Nacht ist es kalt geworden. »Nein«, sagt einer der Polizisten, er wisse nicht, wohin die Busse fahren, irgendwohin zu einer Unterkunft in der Stadt. Seit sechs Uhr morgens macht er mit den Kollegen seinen Dienst, an diesem Montagvormittag kommen an die 300 Flüchtlinge am Münchner Hauptbahnhof an, die meisten auf Gleis 26, mit dem Zug aus Budapest oder aus Salzburg.

Draußen an der Absperrung steht Bastian, seine zwei Lieblingsplüschtiere in der Hand. Bastian ist sechs Jahre alt und kommt aus Ingolstadt, er will die Tiere einem Flüchtlingskind schenken. »Schau, da drüben kannst du sie übergeben«, sagt seine Mutter und zeigt auf eine Lücke in der Absperrung. Ein paar Meter weiter gibt Elizabeth Matzinger, Pressesprecherin der Polizei, den Journalisten einen Überblick. »Nein«, man könne derzeit noch nicht abschätzen, wie viele Menschen kommen werden. Ja, die Polizei sorge dafür, dass alles friedlich und geordnet ablaufe, an die 70 Beamte seien im Einsatz, dazu weitere 70 von der Bundespolizei. Nein, die Ankommenden würden nicht registriert, sie erhielten Essen und Trinken sowie medizinische Versorgung, dann würden sie mit Bussen auf die Unterkünfte in München, oder weiter entfernt in Bayern und andere Bundesländer aufgeteilt.

Die Polizistin steht vor dem Starnberger Bahnhof, einem Flügel des Hauptbahnhofs. Hierher werden die Flüchtlinge von den Zügen geleitet und in Empfang genommen, auch dieser Bereich ist abgesperrt. »Welcome to München« steht in bunten Lettern auf einem Pappschild, andere Begrüßungsschilder sind auf Arabisch. In diesem Bahnhofsteil liegt auch die Anlaufstelle für die freiwilligen Helfer, sie nehmen Kleidung, Lebensmittel und andere Spenden in Empfang. »Momentan sind wir gut versorgt und nehmen keine Spenden mehr an«, steht um 11.00 Uhr auf einem Flipchard geschrieben. Zwei Stunden später wird dort stehen: »Suchen Pampers und Sim-Karten.«

Einer der freiwilligen Helfer ist Colin Turner, er arbeitet für einen Bundestagsabgeordneten und hat derzeit Urlaub: »Das hat gerade gepasst«, sagt er. Und immer wieder kommen Menschen mit Tüten und Taschen voller Kleidung, manche auch mit Teddybären. Doch hier ist das Kleidungslager mittlerweile voll, eine junge Frau wird mit ihren Taschen weitergeschickt, in die Denisstraße, ein paar Häuserblocks weiter.

Dort steht »Willkommen in der ... Garage«, doch der Schriftzug ist alt und war an die Kunden eines ehemaligen Autohauses gerichtet. Jetzt wurden auf die Schnelle im Hof des Gewerbebaus ein Verpflegungszelt sowie mehrere graue Sanitärcontainer aufgestellt. In einer der ehemaligen Montagehallen sind Helfer gerade dabei, Metallbetten aufzubauen. Dort, wo früher die Reparaturannahme war, befindet sich jetzt die Kleiderausgabe für die Flüchtlinge, die hier gerade ihre Unterkunft beziehen.

Einer von ihnen ist Jessa Haddad. Der 42-Jährige ist Christ und stammt aus Homs in Syrien, hat dort als Restaurantchef gearbeitet. Nun ist er seit Wochen auf der Flucht, eine wahre Odyssee durch Südeuropa hat er erlebt. Von Syrien aus gelangte er in die Türkei, von dort setzte er auf die griechische Insel Lesbos über. Mit dem Zug ging es durch Mazedonien und dann zu Fuß weiter durch Serbien. Die serbische Polizei habe ihnen Geld abgenommen, klagt Haddad.

Ein Fußmarsch von über sieben Stunden brachte sie bis nach Budapest. Dort legte er mit drei Kameraden das verbliebene Geld zusammen, und sie zahlten 500 Euro für ein Taxi, das sie nach Deutschland bringen sollte. Schließlich wurden sie von der Polizei angehalten und zunächst in ein Aufnahmelager in Deggendorf gebracht, von dort ging es nach zwei Tagen weiter nach Ingolstadt. Jetzt ist er hier in der Denisstraße in München und froh, in Deutschland zu sein. Wie es weitergehen wird, weiß er allerdings nicht. Seine Frau mit den drei Kindern ist in Syrien geblieben, sein größter Wunsch ist es nun, sie nachzuholen.

Zurück zum Starnberger Bahnhof. Es ist kurz nach 12.00 Uhr und unter einem Werbeplakat der Bahn mit der Aufschrift »In unter vier Stunden nach Wien« geben Christoph Hillenbrand, Regierungspräsident des für die Flüchtlinge zuständigen Bezirks Oberbayern, und Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München, eine Pressekonferenz. 2600 neue Unterkünfte habe der Bezirk kurzfristig organisiert, sagt Hillenbrand und fordert, München müsse deutlich entlastet werden. Etwa durch neue Drehkreuze für die Weiterleitung der Flüchtlinge. Leipzig sei im Gespräch und eine weitere Stadt in Deutschland. Dorthin sollen in Salzburg wartende Flüchtlinge mit der Bahn gebracht werden. Und Oberbürgermeister Reiter erneuert seine Forderung nach Hilfe durch die Bundesregierung. Zugleich würdigt er das Engagement der freiwilligen Helfer: »Ohne sie wäre es nicht gegangen.« Im Hintergrund steigt gerade wieder eine Gruppe Flüchtlinge aus dem Zug.

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