Entscheider ohne Entscheidungsbefugnisse
Bundestags-Gutachten über die »de facto« mächtige Eurogruppe / Linken-Politikerin Lötzsch: Schäubles Tricks gegen Griechenland nicht hinnehmbar / Athens Ex-Finanzminister Varoufakis erneuert Kritik an »offiziell inoffiziellem« Gremium
Experten des Bundestags stützen in einem Gutachten im Wesentlichen die Kritik am juristisch nicht legitimierten Vorgehen der Eurogruppe. Wie aus dem Papier hervorgeht, das dem »nd« vorliegt, sei die Runde der Finanzminister der Euro-Staaten als informelles Gremium »grundsätzlich nicht zu einer eigenständigen Beschlussfassung ermächtigt«. Die Eurogruppe, deren Existenz in einem Protokoll zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union geregelt ist, solle vielmehr den »Austausch von Ansichten« über Fragen erleichtern, »die für alle beteiligten Mitgliedsstaaten von gemeinsamen Interesse sind«.
Gemeinsames Interesse? Dass dies in der Praxis und aus Sicht einzelner Regierungen keineswegs immer so ist, hatte zuletzt vor allem die Kritik aus Griechenland deutlich gemacht. Immer wieder war auch von Europapolitikern und der linken Opposition in Deutschland das intransparente und demokratisch nicht legitimierte Gebaren der Eurogruppe zurückgewiesen worden.
Der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis hatte erst vor wenigen Tagen noch einmal darauf hingewiesen, dass die Eurozone »von der offiziell inoffiziellen Eurogruppe« praktisch »regiert« werde. Dabei fehlten der Eurogruppe sowohl demokratische Legitimation als auch transparente Regeln, so die Kritik des Ökonomen. Für ganz Europa zentrale Fragen würden »vertraulich« erörtert, die Sitzungen nicht protokolliert und zudem sei die Eurogruppe nicht verpflichtet, »irgendeinem gewählten Gremium gegenüber Rechenschaft abzulegen, nicht einmal dem Europäischen Parlament«.
Die Weichen in der Krisenpolitik gegenüber der SYRIZA-geführten Regierung sind nach Meinung vieler Kritiker in der Eurogruppe unter maßgeblichem Einfluss der Bundesregierung gestellt worden. Obwohl die Eurogruppe eigentlich »keine Entscheidungsbefugnisse« hat, wie auch die Bundestags-Experten formulieren, komme ihr »eine politisch bedeutende Rolle zu«, da bei den Treffen der Finanzminister »de facto viele Entscheidungen bereits gefallen sind«, bevor sie später vom Rat für Wirtschaft und Finanzen EcoFin oder von einem EU-Gipfel »getroffen« werden.
Die Parlamentsexperten nehmen auch zu dem faktischen Rauswurf von Varoufakis aus einem Eurogruppen-Treffen Ende Juni Stellung. Seinerzeit hatten die Finanzminister einen Antrag der griechischen Regierung auf kurze Verlängerung des damals laufenden Kreditprogramms zurückgewiesen – in einer Erklärung des Gremiums hieß es, diese Auffassung werde »unterstützt von allen Mitgliedern der Eurogruppe, mit Ausnahme des griechischen Mitglieds«. Daraufhin kamen die Finanzminister der Euro-Länder noch am selben Tag abermals zusammen, allerdings ohne Beteiligung von Varoufakis. Auch nach diesem Treffen wurde eine Erklärung verabschiedet – als Kontakt für die Presse ist Michel Reijns angegeben, der Sprecher des Chefs der Eurogruppe Jereon Dijsselbloem.
»Ob die Nichtteilnahme des griechischen Finanzministers auf einer unterbliebenen Einladung von Seiten des Präsidenten der Eurogruppe oder einer ausdrücklichen Ausladung im Sinne eines Ausschlusses von dem Treffen der Finanzminister der Euro-Mitgliedstaaten beruht, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Informationen aus hiesiger Sicht nicht abschließend beurteilen«, schreiben die Bundestagsexperten in ihrem Gutachten. Sicher sei jedoch, dass die Bestimmungen über die Eurogruppe einen solchen Ausschluss keinesfalls zulassen würden.
Ob ein solcher stattgefunden hat, wird am Ende wohl eine politische Frage bleiben. Die Expertise des Bundestags stützt sich auf eine »Darstellung des Bundesministeriums der Finanzen«, nach der sich »die Finanzminister der Eurozone nach Beendigung der Eurogruppe ohne den griechischen Vertreter in einem weiteren, informellen Treffen« über die Folgen der Ablehnung des Antrags auf Verlängerung des laufenden Kreditprogramms beraten hätten. Dass die beiden Treffen der Euro-Finanzminister »ein unterschiedliches Format« im europarechtlichen Sinne gehabt hätten, wird in dem Gutachten unter Hinweis auf den Inhalt und die Bezeichnung der jeweils danach verabschiedeten Erklärungen begründet – diese »deuten« auf den Unterschied hin.
Ebenso viel deutet freilich darauf hin, dass es sich tatsächlich um einen rechtswidrigen Ausschluss von Varoufakis gehandelt hat. Um den Vertreter der SYRIZA-geführten Regierung nicht an einer informellen Runde teilnehmen zu lassen, die entgegen ihrer Bestimmung de facto weit reichende Entscheidungen trifft, wird eine weitere, »andere« informelle Runde einberufen, womit das Teilnahmerecht eines Euro-Staates ausgehebelt werden kann. Zumal die Bundestagsexperten nicht nur darauf verweisen, dass es »ein unbedingtes Recht auf Teilnahme an den Sitzungen« gibt. Sondern auch auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.
Zwar ist es jederzeit gestattet, wie es auch in der Parlamentsexpertise heißt, dass sich Regierungsvertreter in einem »von den primärrechtlichen Foren abweichenden« Format »der intergouvernementalen Kooperation« treffen. Dies aber nur, »sofern sie hierbei nicht gegen das Unionsrecht beispielsweise in Form des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit oder des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts verstoßen.« Für einen solchen Verstoß sieht das Gutachten »vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte«.
Ganz anderer Meinung ist die linke Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. »Die Trickserei von Wolfgang Schäuble und Jeroen Dijsselbloem, um einen Ausschluss der griechischen Regierung von den Sitzungen der Eurogruppe zu erwirken, ist nicht hinnehmbar«, sagt die Haushaltsexpertin. »Schäuble schafft sich informelle Gruppen um europäische Grundsatzfragen ohne demokratische Legitimation durchsetzen zu können.« Die Forderung der Linken-Politikerin: »Wir brauchen gerade jetzt weniger informelle Gruppen, sondern mehr Demokratie.«
So sieht es auch Varoufakis, der das Demokratie-Defizit der maßgeblichen Weichenstellungen der europäischen Krisenpolitik immer wieder beklagt hat. Die Vertreter einer kompromisslosen und am Dogma der Austerität orientierten Gläubiger-Linie gegenüber der Regierung in Athen »kommen damit durch, weil die Entscheidungsträger der Eurozone sich vor keinem obersten Gremium verantworten müssen«.
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