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Wagenknecht: Flüchtlinge nicht gegen Investitionen ausspielen

Gysi: Deutschland verschärft weltweite Konflikte / Grüne gegen noch mehr »sichere« Herkunftsstaaten / Volker Beck: »Dafür fehlt mir jegliches Verständnis« / Claudia Roth: »Ein Angriff auf das individuelle Grundrecht auf Asyl«

  • Lesedauer: 11 Min.

Update 15.00 Uhr: München erwartet weiterhin viele Flüchtlinge
In München kommen täglich weiterhin tausende Flüchtlinge an. Von Mitternacht bis zum Vormittag um 11.00 Uhr trafen am Mittwoch rund 1700 Migranten in Bayerns Landeshauptstadt ein, wie die Regierung von Oberbayern mitteilte. Am Vortag waren es insgesamt etwa 3300 Personen. Viele Flüchtlinge werden direkt in andere Städte weitergeleitet. So brachte ein Sonderzug noch am Vormittag bereits rund 500 Menschen nach Dortmund. Weitere Züge sollten im Laufe des Tages nach Dortmund und Berlin fahren.

Im Laufe des Mittwochs dürften noch weitere Flüchtlinge die Landeshauptstadt erreichen. »Am Bahnhof in Budapest warten noch etwa 2000 Flüchtlinge auf ihre Weiterfahrt, etwa 5000 versuchen derzeit über die serbische Grenze nach Ungarn zu gelangen«, sagte eine Sprecherin der Regierung von Oberbayern.

Allerdings entspannte sich die Situation in München weiter, erste Notunterkünfte konnten bereits wieder aufgelöst werden. Die Flüchtlinge wurden auf andere Orte in Bayern oder in anderen Bundesländern verteilt.

Die Notunterkunft im Luisengymnasium in München muss geschlossen werden, da in der nächste Woche die Schule beginnt. Auch die provisorische Notunterkunft in einer Tennishalle in Grasbrunn (Landkreis München) wurde aufgelöst. Dort wurde auch ein Bus für rund 100 Flüchtlinge, die nach Frankreich wollten, bereitgestellt.

Update 12.00 Uhr: Union fordert Entwicklungsgelder an Rücknahme von Flüchtlinge zu koppeln
Die beiden Unionspolitiker Sabine Weiss und Thomas Strobl haben sich dafür ausgesprochen, die Zahlung von Entwicklungsgeldern an die Bereitschaft zur Rücknahme von Flüchtlingen zu koppeln. »Dies würde die Anreize zur Rücknahme durch die Herkunftsländer erhöhen«, argumentiert die Union. Es könne nicht sein, dass Deutschland finanziell zum Aufbau von Ländern beitragte, deren Regierungen sich weigerten, die eigenen Bürger wieder aufzunehmen, so Strobl und Weiss.

Aufgrund des nahenden Winters in Europa müsste es nun Ziel sein, den Menschen in den Flüchtlingslagern in der nahöstlichen Krisenregion eine Perspektive zu geben, damit diese »möglichst nah an der Heimat bleiben können, bis die Bedingungen in ihrem Heimatland eine Rückkehr ermöglichen.«

Update 11.30 Uhr: Wagenknecht fordert höhere Steuern für Investitionen und Flüchtlinge
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat sich für eine deutlich stärkere Besteuerung von Reichen ausgesprochen, um notwendige Investitionen in die Infrastruktur, Wohnungsbau, Bildung, aber auch die Unterbringung von Flüchtlingen zu finanzieren. Wagenkencht erklärte, durch eine sstärkere Besteuerung von Wohlhabenden gäbe es genug Einnahmen, um einerseits diese Aufgaben zu erfüllen und andererseits weiterhin eine Neuverschuldung des Bundes zu vermeiden, so die LINKEN-Poltikerin im Interview mit Deutschlandradio. Wagenknecht warnte zudem davor, die unterschiedlichen Herausforderungen gegeneinander auszuspielen.

Update 11.00 Uhr: Grüne fordern Flüchtlingspakt
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt hat einen »nationalen Flüchtlingspakt« zur Integration der vielen hunderttausend Schutzbedürftigen gefordert. An dieser gemeinsamen Anstrengung müssten Länder, Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitgeber, Kirchen und Wohlfahrtsverbände teilnehmen, sagte Göring-Eckardt am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestages.

Die deutsche Flüchtlingspolitik sei in der Krise, sagte die Grünen-Politikerin. Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) würden das Problem nur verwalten. Zu lange habe de Maizière auf eine Abschottung der europäischen Außengrenzen gesetzt. »Das war beschämend«, sagte Göring-Eckardt.

Beim notwendigen Ausbau des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur schnelleren Entscheidung über Asylanträge habe der Innenminister versagt. Sichere Wege für Flüchtlinge nach Europa seien das einzig wirksame Mittel gegen kriminelle Schleuser. Deshalb sei auch ein modernes Einwanderungsgesetz notwendig.

Update 10.10 Uhr: Merkel beharrt auf »schwarzer Null«
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ungeachtet der Kosten für die Versorgung der Flüchtlinge das Ziel eines weiterhin ausgeglichenen Haushalts unterstrichen. »Keine neuen Schulden - und das gilt auch weiter für die mittelfristige Finanzplanung«, sagte Merkel am Mittwoch in der traditionellen Generaldebatte über die Politik der Bundesregierung im Bundestag. »Deutschlands Finanzen stehen auf einem soliden Fundament«, betonte sie und ergänzte: »Solide Finanzen machen es auch möglich, dass wir auf plötzlich auftretende neue Herausforderungen reagieren können.«

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte am Vortag in der Haushaltsdebatte im Bundestag angedeutet, angesichts der Herausforderungen durch die Mehrausgaben für Flüchtlinge sei die auch für 2016 angestrebte »Schwarze Null« - der Verzicht auf neue Schulden - nicht unumstößlich.

Merkel mahnt zu einer raschen Einbindung der Flüchtlinge in die Gesellschaft. »Wir sollten aus den Erfahrungen der 60er Jahre, als wir Gastarbeiter zu uns gerufen haben, lernen und von Anfang an der Integration allerhöchste Priorität einräumen«, sagte Merkel. »Wenn wir es gut machen, dann bringt es mehr Chancen als Risiken.« Hilfe beim Deutschlernen und zur raschen Arbeitsaufnahme seien zentral. Zugleich mahnte sie: »Wir dürfen nicht wegsehen, wenn sich Milieus verfestigen, die Integration ablehnen, oder wenn sich Parallelgesellschaften bilden.« Hier dürfe es keine Toleranz geben.

Ausschreitungen gegen Flüchtlingsheime und fremdenfeindliche Umtriebe nannte Merkel abstoßend und beschämend. Sie kündigte an: »Wir werden mit der ganzen Härte des Rechtsstaates dagegen vorgehen.«

Update 9.50 Uhr: Gysi betont Ursachen für Krieg und Armut
Linksfraktionschef Gregor Gysi hat die Bundesregierung zu einer entschlossenen Bekämpfung von Krieg und Armut als wichtigste Fluchtursachen aufgerufen. Als drittgrößter Waffenexporteur der Welt leiste Deutschland aber stattdessen einen wichtigen Beitrag zur Verschärfung von Konflikten weltweit. »Diese unheilvolle Politik muss überwunden werden«, sagte Gysi am Mittwoch in der Generaldebatte im Bundestag.

Der Linken-Politiker forderte von der Bundesregierung zudem ein stärkeres Engagement zur Bekämpfung von Fluchtursachen. »Menschen fliehen, um nicht getötet, nicht vernichtet zu werden«, sagte Gysi. Auch Hunger und Armut seien Fluchtgründe. Dagegen müsse die Bundesregierung mehr unternehmen.

Der Oppositionsführer begrüßte zwar die Ankündigung der schwarz-roten Bundesregierung, 2016 sechs Milliarden für die Bewältigung des Flüchtlingszuzugs zur Verfügung zu stellen. Diese Mittel reichten aber nicht aus. Gysi forderte eine gerechte Kostenverteilung in Europa. Ländern, die sich nicht oder unzureichend an der Aufnahme von Flüchtlingen beteiligten, müssten Zuschüsse gekürzt werden. »Da muss man jetzt mal mehr Mumm zeigen«.

Die Flüchtlingspolitik des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nannte Gysi »indiskutabel«. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte er auf, endlich dafür zu sorgen, dass Orbans Partei aus der konservativen Europäischen Volkspartei ausgeschlossen werde.

Gysi sprach si zudem für den Erhalt des Solidaritätszuschlags zur Finanzierung der Asylkosten aus. Der Soli müsse nicht abgeschafft, sondern unter den 16 Bundesländern gerecht verteilt werden, »damit sie die Herausforderungen meistern können«, sagte Gysi am Mittwoch in der Generaldebatte im Bundestag zum Haushalt.

Update 9.30 Uhr: SPD-Länder fordern mehr Geld vom Bund für Asylbewerber

Die Landesminister der SPD haben ihre Forderung gegenüber dem Bund, mehr als die bisher geplanten zusätzlichen drei Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe an die Länder zu zahlen, noch einmal bekräftigt. »Es reicht nicht«, sagte der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans dem »Handelsblatt« vom Mittwoch. Wenn in diesem Jahr wie vorhergesagt 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kämen, gehe es um Kosten von zehn Milliarden Euro.

Walter-Borjans verwies insbesondere auf die Kosten für die Integration der Menschen, beispielsweise der Kinder in den Schulen, die vor allem an den Ländern hingen. Der SPD-Minister sprach sich für einen festen Schlüssel aus, »also eine bestimmte Summe pro Flüchtling«. Befürchtungen, die Länder würden das Geld vom Bund nicht ausreichend an die Kommunen weiterleiten, wies er zurück.

Auch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) forderte Nachbesserungen. Eine Einmalzahlung wie die drei Milliarden Euro sei nicht ausreichend, sagte er dem Sender NDR Info. Die Finanzhilfen des Bundes müssten dynamisch angepasst werden. »Schließlich verändert der Zustrom von Flüchtlingen den Alltag in den Städten und Gemeinden nachhaltig.«

Über die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern beraten am Mittwoch in Berlin die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Dabei dürfte es auch um die Bewältigung der Flüchtlingskrise gehen. Darüber sprechen ebenfalls in Berlin auch die Chefs der Staatskanzleien der Länder mit Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU). Das Treffen dient der Vorbereitung des für übernächste Woche geplanten großen Flüchtlingsgipfels.

Union und SPD hatten sich beim Spitzentreffen der Koalition in der Nacht zum Montag darauf verständigt, Länder und Kommunen im kommenden Jahr mit drei Milliarden Euro bei Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen zu unterstützen.

Grüne gegen noch mehr »sichere« Herkunftsstaaten

Berlin. Während am Mittwoch die Haushaltsberatungen im Bundestag mit der vierstündigen Generalaussprache weitergehen, steht die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition weiter in der Kritik. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen wandte sich gegen die von Union und SPD angestrebte Ausweitung der Liste angeblich sicherer Herkunftsländer. Kein Staat habe »das Recht zu sagen, der ist sicher und der nicht«. Das sei »ein Angriff auf das individuelle Grundrecht auf Asyl«, kritisierte die Grünen-Politikerin.

Auch Volker Beck, grüner Innenexperte im Bundestag, kritisierte die Ankündigung der Bundesregierung, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Albanien, Kosovo und Montenegro zu erweitern. »Für Kosovo hat der Bundestag erst im Sommer den KFOR-Einsatz der Bundeswehr verlängert, weil das Land noch immer instabil ist. Jetzt soll Kosovo als sicherer Herkunftsstaat deklariert werden. Dafür fehlt mir jegliches Verständnis«, sagte er dem »nd«.

Roth lehnte zudem ein System zur Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten der EU ab. »Menschen nach einer Quote zu verteilen, ohne Rücksicht auf die Zustände in den einzelnen Ländern, halte ich nicht für sinnvoll«, sagte Roth in der ARD-Sendung »Menschen bei Maischberger«. Sie plädierte stattdessen für die Einrichtung eines »europäischen Flüchtlingsfonds«, der Länder unterstützen solle, die viele Flüchtlinge aufnehmen.

Beck wandte sich gegen den Kurs der Großen Koalition, deren Maßnahmepaket auf die Spaltung in zwei Klassen von Asylbewerbern hinauslaufe: »Jene Flüchtlinge, deren Asylverfahren als nicht sehr aussichtsreich gilt, werden massiv benachteiligt. Sie sollen wieder Sachleistungen statt Bargeld erhalten, für sie wird soll die Residenzpflicht heraufgesetzt werden. Diese Menschen werden kaum die Möglichkeit haben, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen«, schlussfolgert Beck.

In der Generalaussprache im Bundestag wird auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ans Rednerpult treten. In der sogenannten Elefantenrunde kommen zudem die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen zu Wort. Die Opposition nutzt die Debatte über den Etat der Kanzlerin traditionell als Gelegenheit, über die Politik der Bundesregierung zu diskutieren. Auf der Tagesordnung stehen am Mittwoch auch die Budgets der Ministerien für Äußeres, Verteidigung sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Derweil geht Bundesbauministerin Barbara Hendricks davon aus, dass in Deutschland auch zur Unterbringung von Flüchtlingen mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen werde muss. »Nach neuen Schätzungen brauchen wir mindestens rund 350.000 Wohneinheiten jährlich«, sagte die SPD-Politikerin der »Rheinischen Post«. Wohnungen würden für alle Bedürftigen gebraucht, nicht nur für Flüchtlinge. »Die anerkannten Flüchtlinge werden absehbar normale, bezahlbare Wohnungen suchen, hinzu kommen die nachziehenden Familien«, sagte Hendricks der Zeitung.

Die Junge Union sprach sich unterdessen dafür aus, die Bundeswehr bei der Ausstattung von Flüchtlingsunterkünften einzusetzen. In einem Gespräch mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung«sagte JU-Chef Paul Ziemiak: »Wir sollten in dieser Ausnahmesituation die Bundeswehr heranziehen, um in dieser Krise zu helfen.« Dies gelte ebenso für die medizinische Versorgung der Flüchtlinge. Ziemiak erklärte, wenn es rechtliche Hürden gebe, dann müssten Bundestag und Bundesrat die gesetzlichen Grundlagen ändern. Angesichts des derzeitigen Zuzugs von Tausenden Menschen müssten alle Möglichkeiten genutzt werden.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt stellte überdies eine Äußerung ihres Parlamentarischen Geschäftsführers Max Straubinger zu möglichen Abschiebungen ins Bürgerkriegsland Syrien klar. »Niemand will Flüchtlinge in Bürgerkriegsgebiete oder andere Regionen zurückschicken, in denen politische Verfolgung herrscht«, sagte Hasselfeldt am Dienstagabend der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Das steht völlig außer Frage.« Straubinger hatte Abschiebungen von Flüchtlingen auch nach Syrien zuvor nicht ausgeschlossen. Intern wurde eingeräumt, Straubinger habe sich missverständlich geäußert. Der hatte gesagt: »Nicht überall in Syrien wird gekämpft. Aleppo ist nicht Damaskus.« Es gebe auch in Syrien Regionen, in denen man leben könne. Deutschland müsse da, wo es gehe, Flüchtlinge zurückschicken, andernfalls drohe in der Bundesrepublik ein abruptes Ende der bisher herrschenden Hilfsbereitschaft. Wie solche Abschiebungen abgewickelt werden könnten, ließ Straubinger offen.

Scharfe Kritik an Straubinger kam auch vom Koalitionspartner SPD und aus der Opposition. Der CSU-Politiker »würde jeder Bananenrepublik als Regent zur Ehre gereichen«, schrieb SPD-Parteivize Ralf Stegner im Kurznachrichtendienst Twitter. »Allmählich verschwinden beim Seehofer-Club letzte Spurenelemente der Seriosität.« Straubinger kritisierte zudem SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gesagt hatte, Deutschland käme mit einer Größenordnung von einer halben Million Flüchtlinge für einige Jahre klar. Der CSU-Politiker nannte dies »ein falsches Signal nach draußen«. Agenturen/nd

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