Inside Podemos
Was kann Europas Linke von der radikaldemokratischen Bürgerpartei lernen? Ein Gastbeitrag von Jonas Wollenhaupt
Podemos verliert in den Umfragen und steht derzeit bei nur knapp 20 Prozent. Das hat viele Gründe. Zum einen die Niederlage von SYRIZA, zum anderen den Aufstieg der rechten Podemos-Kopie Ciudadanos sowie den finanzpolitischen Angriff auf die linken Bürgermeisterinnen in Barcelona und Madrid.
Kurz nach den gewonnenen Wahlen hatte die PP ein Stabilititätsgesetz verabschiedet, um die finanziellen Spielräume der Städte einzuschränken. Diese Angriffe auf den politischen Kontrahenten haben sich damit endgültig von jedem guten Politikstil verabschiedet. Wie in Griechenland, so zerstört auch in Spanien die höhere politische Ebene den Handlungsspielraum und berauscht sich dann an dem eigenen Argument, dass die linken Parteien doch nur Populisten seien.
Podemos ist aber keine herkömmliche Partei mit fester politischer Ausrichtung, sondern ein Demokratisierungsprojekt. Um die Besonderheit von Podemos zu verstehen, muss man sich die Rahmenbedingungen der Parteientstehung anschauen. Die beiden großen Parteien (PSOE und PP) sind in ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik nahezu identisch. Unterschiede gibt es in ethischen Fragen wie Abtreibung oder den Einfluss der Kirche.
Konsens der Mitte
Ansonsten herrscht ein Konsens der Mitte: Austerität und neoliberale Wirtschaftsordnung. Diese Einstimmigkeit hat gleichsam die symbolische Ebene von links und rechts eingedampft. So ist die Wirkung der konventionellen Begriffe, Ikonen und Stile der beiden Weltanschauungen ebenso verschwunden wie der Glaube an Repräsentation. Dazu kommt die um sich greifende Korruption.
Das waren die Zutaten für die 15-M Bewegung 2011, welche auf die Krise des politischen Feldes reagierte, als dieses die unteren Klassen nicht mehr in die Hegemonie einbinden konnte.
Aber während in New York, Frankfurt oder London die Occupy-Bewegung langsam wieder abflaute, hat sie sich in Madrid und Spanien zu dezentralen Netzwerken zusammengefunden. An der Madrider Universität Complutense hatte sich ein Kreis von Politologen gebildet, der diese Bewegungen und ihre Anliegen in ein kollektives Subjekt transformieren wollte: So entstand Podemos. Pablo Iglesias war bereits als Kommentator in Talkrunden bekannt und wurde als Gesicht von Podemos aufgebaut. Spaniens Meinungsmacher sitzen im Fernsehen und so haben sich die Podemos-Aktivisten in audiovisuellen Kommunikationsmedien, in Moderationstechniken und Social-Media-Aktivitäten geschult.
Aber wie konnte Podemos in so kurzer Zeit das linke Spanien (ausgenommen die Traditionslinken) unter einen Hut bringen? Anfangs wollte Podemos ein Teil genau dieser Traditionslinken werden, und die Izquierda Unida transformieren. Die Ablehnung, auf die sie gestoßen sind, hat ihnen die Freiheit gegeben, eine Revolution zu proben und die Reform der Linken zu überspringen. Podemos konnte so genau die Gruppen ansprechen, die in ihren Partikularinteressen links denken, sich aber nicht mehr im Links-Rechts-Schema verorten.
Mit der Repräsentationskrise sind gleichzeitig auch die Begriffe von links und rechts nicht mehr repräsentationsfähig gewesen. Podemos hat daher neue Begriffe eingeführt und alte, sinnentleerte Begriffe, neu besetzt. Sie haben das politische Feld nicht betreten, indem sie mit den alten linken Parolen angetreten sind, sondern indem sie eine neue trennscharfe Linie zwischen »uns« und »denen« gezogen haben. Diese Linie verläuft zwischen den Vielen, die soziale Ansprüche anmelden und materiell bedroht sind, und der »Kaste«, wie Podemos zu sagen pflegt. Sie haben so gewissermaßen die Klassen neu erfunden. Sie spielen nicht im politischen Feld, sie ändern die Regeln.
Der Gegenbegriff der Kaste ist die »echte Demokratie«. Dadurch entsteht eine neue Klassenlogik der Vielen, unter dem Dach echter Demokratie gegen die Wenigen, die Oligarchen und korrupten Staatsapparate. Podemos versucht auch die alten Begriffe der Rechten für sich zurückzuerobern. Nation und Patriotismus werden von Podemos neu gedeutet. So ist ein Patriot jemand, der für die Bürgerrechte eintritt. Gewissermaßen setzt Podemos da an, wo es die Konservativen bereits vor Jahrzehnten getan haben: Die Eroberung des politischen Feldes über Begriffe, die mit eigenem Inhalt neu besetzt werden. Die Konservativen hatten die Begriffe der Reform und der Freiheit den Linken entwendet und umgedeutet, und so macht es jetzt Podemos.
Die PP hat zunächst versucht Podemos in die linksradikale Ecke zu stellen und sie innerhalb der alten politischen Geographie anzugreifen. Nachdem das aber nicht funktioniert hatte, griff die PP zu dem, was Antonio Gramsci mit »Hegemonie gepanzert mit Zwang« gemeint hat: Nachdem die alten Eliten die Hegemonie nicht mehr herstellen konnten, kam der Zwang. So wurde mit der Ley Mordaza ein Gesetz geschaffen, welches ein direkter Angriff auf die Organisationsstrukturen von Podemos war und als Kollateralschaden das gesamte Demonstrations- und Meinungsfreiheitsrecht verunstaltete.
Podemos setzt weitgehend auf offene Listen und verzichtet auf Parteibücher oder Mitgliedsbeiträge. Das hat den Effekt von »the left would look more like the people«, so schreibt es Iglesias. Und in der Tat ist Podemos mehr ein Demokratisierungswerkzeug als eine fertige Partei. Daraus ergibt sich eine Stärke und eine Schwäche zugleich. Die relative Unbestimmbarkeit des Projekts Podemos macht sie angreifbar. Gleichzeitig lässt diese Offenheit auch ein breites politisches Bündnis zu, in dem ein hohes Spektrum von sozialem Leid ausgedrückt werden kann: Der Unzufriedenheit wird eine Form gegeben.
Radikaldemokratische Projekte sind aber nur mit einer Neugründung und Veränderung der bestehenden Institutionen möglich. Podemos will daher die Institutionen für die Bürger öffnen und Partizipation ermöglichen. Ohne die Kraft in den Institutionen lässt sich keine Wechselstimmung erzeugen, um das politische Kräfteverhältnis nachhaltig so zu verändern, dass große emanzipatorische Projekte möglich werden.
Auch die Monarchie ist nicht Gegenstand der politischen Entscheidung von Podemos. Die Partei meint, dass die Menschen darüber abstimmen sollen. Die Monarchie ist in Spanien immer noch beliebt, und ihre Abschaffung zu fordern, wie es die traditionelle Linke tut, hat keine Mehrheit. Das politische Primat ist die Demokratie, nicht die Richtung. Das konservative Europa ist nervös und die Linke ist zurück auf dem politischen Spielfeld. Die Konservativen werfen beim Kampf um das politische Feld in Spanien alles in die Waagschale. Die Liste ist lang: Merkel transferiert großzügig Euros nach Spanien, welche man den Griechen nur unter Einforderung des politischen Selbstmordes zur Verfügung stellt. Zahlen werden zum Wirtschaftswunder umgedeutet, Gesetze gegen Podemos und die Meinungsfreiheit werden verabschiedet, Madrid und Barcelona werden finanzpolitisch ausgehungert und die PP etabliert die rechtsliberale Partei Ciudadanos als neuen Koalitionspartner.
Auch in anderen Ländern könnte die Linke von Podemos lernen, obwohl die historische Situation in Spanien anders ist und die Krise akuter. Es gilt darüber nachzudenken, ob alte Begriffe noch tragfähig sind, oder ob soziales Leid nicht mit neuen bzw. anders gedeuteten Begriffen besser zu artikulieren ist. Auch die Trennlinien könnten stärker formuliert werden. Dazu kommt eine vertiefende Integration von sozialen und bürgerlichen Bewegungen, gerade in der Flüchtlingsfrage oder im Kampf gegen Rassismus. Außerdem bedarf es eines Lernprozesses in den Kommunikationsmedien und einer Demokratisierung bzw. Öffnung der eigenen und der staatlichen Institutionen. Das dunkle Europa zeigt, wie es reagiert wenn Wahlergebnisse nicht mehr passen, darauf gilt es, sich einzustellen.
Die Linke ist zurück und sie hat neue Begriffe, radikale Demokratiekonzepte und eine Resozialdemokratisierung Europas im Gepäck. Auch wenn Podemos die Wahl nicht gewinnt, der Neoliberalismus in Europa bekommt starke Risse. Vor der Wahl gibt es aber noch die Wahl in Katalonien, und danach könnte erstmal sowieso alles anders sein.
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